Zauber der Schlange
ganz klar, daß er Tante Pol um Verzeihung bitten mußte. Er hatte sie aus seinem eigenen tiefsitzenden Schuldgefühl heraus angegriffen und versucht, ihr irgendwie die Verantwortung zuzuschieben. Aber ganz offensichtlich gab es keinen Weg, sich seiner eigenen Verantwortlichkeit zu entziehen. Nachdem er dies erkannt hatte, fühlte er sich etwas besser.
Es wurde dunkler. Die tropische Nacht war schwer, und der Geruch nach faulenden Pflanzen und stehendem Wasser wurde von den weglosen Sümpfen herangetragen. Ein ekliges kleines Insekt kroch unter seine Tunika und biß ihn zwischen die Schultern, wo er es nicht erreichen konnte.
Es gab überhaupt keine Warnung – kein Geräusch, keine Bewegung des Schiffes oder eine Andeutung von Gefahr. Seine Arme wurden von hinten gepackt, und ein nasses Tuch wurde ihm fest auf den Mund gepreßt. Er versuchte loszukommen, aber die Hände, die ihn hielten, waren sehr stark. Er bemühte sich, den Kopf so weit zu drehen, daß er das Gesicht freibekam, um nach Hilfe zu schreien. Das Tuch roch seltsam – ekelhaft, widerlich süß, irgendwie dicklich. Er fühlte sich benommen, seine Bewegungen wurden schwächer. Er unternahm noch eine letzte Anstrengung, ehe die Übelkeit ihn übermannte und er bewußtlos wurde.
27
S ie befanden sich in einem langen Gang. Garion konnte deutlich den gefliesten Boden erkennen. Drei Männer trugen ihn mit dem Gesicht nach unten, und sein Kopf baumelte unbequem hin und her. Sein Mund war trocken, aber er schmeckte noch immer den dicken, süßlichen Geruch, der dem Tuch entströmt war, das man ihm aufs Gesicht gepreßt hatte. Er hob den Kopf und versuchte sich umzusehen.
»Er ist wach«, sagte einer der Männer, die ihn trugen.
»Endlich«, brummte ein anderer. »Du hast ihm das Tuch zu lange vorgehalten, Issus.«
»Ich weiß schon, was ich tue«, sagte der erste wieder. »Setzt ihn ab.«
»Kannst du stehen?« fragte der Issus Genannte Garion. Sein geschorener Kopf war stoppelig, und eine lange Narbe lief von seiner Stirn durch eine verrunzelte leere Augenhöhle bis zum Kinn. Sein gegürtetes Gewand war verschmutzt und fleckig.
»Steh auf«, befahl Issus mit zischender Stimme. Er gab Garion einen Schubs mit dem Fuß. Garion versuchte aufzustehen. Seine Knie zitterten, so daß er sich mit einer Hand an der Wand abstützen mußte. Die Steine waren feucht und mit einer Art Schimmel bedeckt.
»Bringt ihn mit«, befahl Issus den anderen. Sie packten Garion bei den Armen und zogen und zerrten ihn durch den feuchten Gang hinter dem Einäugigen her. Als sie aus dem Gang hinauskamen, befanden sie sich auf einem überwölbten Areal, das weniger ein Raum als ein großer, überdachter Platz zu sein schien. Riesige, mit Schnitzereien verzierte Säulen trugen die hohe Decke, kleine Öllampen hingen an langen Ketten oder standen auf kleinen steinernen Konsolen an den Säulen. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, da Gruppen von Männern in bunten Kleidern in einer Art mattem Stumpfsinn ziellos von hier nach dort schlenderten.
»Da«, fuhr Issus einen pummeligen jungen Mann mit verträumten Augen an. »Sag Sadi, dem Obereunuchen, daß wir den Jungen haben.«
»Sag es ihm selbst«, erwiderte der junge Mann mit piepsiger Stimme. »Ich nehme von deinesgleichen keine Befehle entgegen, Issus.«
Issus schlug dem dicklichen jungen Mann unvermittelt ins Gesicht.
»Du hast mich geschlagen!« jammerte der Dicke und legte seine Hand auf den Mund. »Meine Lippe blutet – siehst du?« Er streckte seine Hand aus, um das Blut zu zeigen.
»Wenn du nicht tust, was ich dir sage, schneide ich dir deinen fetten Hals durch«, sagte Issus mit ruhiger, ungerührter Stimme.
»Ich werde Sadi erzählen, was du getan hast.«
»Geh schon. Und dann sag ihm auch gleich, daß wir den Jungen haben, den die Königin wollte.«
Der mollige Jüngling eilte davon.
»Eunuchen!« sagte einer der Männer, die Garion hielten, verächtlich.
»Sie haben auch ihr Gutes«, sagte der andere mit rauhem Lachen.
»Bringt den Jungen!« befahl Issus. »Sadi wartet nicht gern.« Sie zogen Garion über den erleuchteten Platz.
Eine Gruppe elend aussehender Männer mit ungepflegten Haaren und Bärten saß aneinandergekettet auf dem Boden. »Wasser«, krächzte einer von ihnen. »Bitte.« Er streckte flehend die Hand aus.
Issus blieb stehen und starrte den Sklaven verwundert an. »Wieso hat der hier noch seine Zunge?« fragte er den Wächter, der neben den Sklaven stand.
Der Wächter zuckte die
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