Zauber der Sonneninsel
Schrei des herrlichen Falken lenkte Petras Blick nach oben. Sie beobachtete, wie der Vogel die Flügel weit ausbreitete, um den Schwung abzufangen, bevor er sich auf Tomás’ Faust niederließ.
Als sie ihn erreichte, fütterte er den Falken gerade mit rohem Fleisch.
“Komm nicht näher”, sagte er. “Du erschreckst ihn sonst.”
Petra blieb stehen. Der Falke war ein wunderschönes Tier mit glänzendem Gefieder und scharfen Augen. Die spitzen Klauen krallten sich in den dicken Lederhandschuh. Tomás war schlanker geworden, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, aber das ließ ihn nur noch attraktiver erscheinen. Während Petra beobachtete, wie er sich mit dem Vogel beschäftigte, fühlte sie ihr Herz heftig schlagen.
Tomás senkte langsam den Arm und warf den Falken hoch in die Luft.
Mit heftigem Flügelschlag schwang das Tier sich auf und schoss wie ein Pfeil davon. Petra sah ihm nach, bis es nur noch ein Punkt am blauen Himmel war.
“Du gehörst nicht in diese Zeit, Tomás”, sagte sie leise.
Er sah ihr direkt, aber unbeteiligt in die Augen. “Du siehst gut aus, Petra.”
“Du auch.” Sie hätte alles darum gegeben, wenn sie ihn einfach hätte umarmen und küssen können. Doch er schien so weit weg von ihr zu sein.
“Ich habe gehört, dass du im Ausland warst.”
“In Paris”, sagte sie und versuchte zu lächeln. “Nächste Woche bin ich in Holland. Ich reise viel, aber meistens sehe ich nur das Innere der Kongresszentren.”
Er betrachtete sie mit ausdrucksloser Miene. “Wann hast du dir die Haare abschneiden lassen?”
“Als ich in Paris ankam.” Petra errötete. “Ich frage dich lieber nicht, wie es dir gefällt.”
“Ob es mir gefällt, spielt keine Rolle.” Tomás nahm eine kleine silberne Taschenflasche von seinem Gürtel und bot sie ihr an. Der scharfe Geschmack des Weinbrands brachte alle Erinnerungen zurück, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie gab die Flasche zurück und schwieg.
“Warum bist du gekommen, Petra?”
“Ich wollte mit dir reden.”
Er trank einen Schluck und verschloss die Flasche wieder. “Worüber sollten wir denn noch reden?” Er sprach ganz sachlich, und das traf sie mehr als Verachtung.
Sie bemühte sich, ihren Schmerz vor ihm zu verbergen. “Was macht denn deine Kopfwunde?”
“Es geht”, erwiderte er kurz. “Der Wagen war allerdings nicht so widerstandsfähig. Ein Sammler aus Deutschland hat ihn gekauft. Er will ihn restaurieren.”
“Der Wagen gehörte deinem Vater, nicht wahr?”
Er nickte. “Ich habe meinen Vater geliebt, aber leider hat er mir nur Dinge hinterlassen, deren Unterhaltung sehr kostspielig ist. Wie den Ferrari oder Alcamar.”
“Tomás, ich habe nichts mit dem zu tun gehabt, was in jener Nacht passiert ist. Das weißt du doch sicher inzwischen.” Petras Stimme klang flehend.
“Auch das spielt keine Rolle mehr”, erwiderte er unbewegt, ja fast kalt.
“Für mich aber!”
“Nach drei Monaten …” Er zuckte die Schultern. “Ob du damit zu tun hattest oder nicht, es interessiert mich nicht mehr. Das ist lange vorbei.”
Petra hatte gedacht, dass er sie nicht mehr verletzen könnte, doch jetzt spürte sie den Schmerz wieder. “Kümmert es dich denn nicht, ob ich mitschuldig war oder nicht?” fragte sie verzweifelt. “Bedeutet es gar nichts für dich, dass ich hier bin?”
Als hätte er sie nicht gehört, beobachtete er den Falken, der sich ihnen näherte. “Geh bitte ein Stück weg!”
Petra gehorchte, und der Vogel schwebte über ihren Kopf hinweg, stieg dann aber wieder hoch in die Luft, ohne auf Tomás’ Hand zu landen. “Du machst ihn nervös”, sagte er. “Nimm bitte den Hut ab und beweg dich nicht!”
Seit drei Monaten sahen sie sich zum ersten Mal wieder, und er kümmerte sich nur um diesen Vogel.
Sollte sie ihm überhaupt von dem Baby erzählen? Was sollte das bewirken? Ihr war zum Weinen zumute. Sie liebte ihn immer noch so sehr, aber seine Gefühle für sie hatten sich anscheinend geändert. Ihr blieb keine Hoffnung.
Diesmal landete der Falke auf Tomás’ ausgestreckter Hand. Petra beobachtete schweigend, wie Tomás mit seinen schlanken Fingern das glänzende Gefieder streichelte.
Genauso hatte er sie einst liebkost. Aber das war lange her. Nun war sein Gesicht völlig ausdruckslos, und sein Blick blieb leer, während er sie betrachtete.
“Wie geht es Cristina?” fragte Petra schließlich, nur um etwas zu sagen.
“Wie immer.”
“Wirst du sie
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