Zauber der Vergangenheit
Blut abschnürte.
»Aber Sir, sie ist eine Hexe. Sie hat es selbst zugegeben. Was, wenn …«
»Ich bin durchaus in der Lage, diese Angelegenheit selbst zu regeln, Emilia. Und jetzt lassen Sie uns bitte allein!« Seine Stimme klang nun bestimmter.
Widerwillig ließ sie mich los. Ich zitterte am ganzen Körper. Meine Beine versagten ihren Dienst, mit dem Resultat, dass ich zu Boden fiel wie ein nasser Sack.
»Wie Ihr wünscht, Sir«, sagte sie und bedachte mich von oben herab mit einem letzten abschätzigen Blick. Offensichtlich hatte sie nicht damit gerechnet, vor die Tür geschickt zu werden. Sie machte beleidigt auf dem Absatz kehrt und stolzierte hinaus.
Da saß ich nun, wie gelähmt, auf dem kalten Fußboden. Unfähig mich zu bewegen, hatte ich nicht die geringste Ahnung, was ich tun sollte. Es war still. Unheimlich still, um genau zu sein. Ich hörte nur das leichte Kratzen der Feder, mit der der Mann am Schreibtisch unbeirrt weiter auf seinem Blatt Papier herumkritzelte. Ich war augenscheinlich nicht der Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Wäre jetzt nicht der perfekte Zeitpunkt, um den ganzen Spuk aufzulösen und sich über den Scherz, den sie sich mit mir erlaubt hatten, zu lachen? Mein Blick huschte unsicher zwischen Schreibtisch und Tür hin und her, doch es kam niemand und mir war auch nicht zum Lachen zu Mute. Mich beschlich viel eher das unheimliche Gefühl, dass das Ganze hier vielleicht gar kein Scherz war.
»Ich bin mir sicher, dass Emilia noch vor der Tür steht, um ihrer Neugier Genüge zu tun. Und ich sage es Ihnen gleich, ich garantiere für nichts, wenn Sie ihr noch einmal über den Weg laufen. An Ihrer Stelle würde ich daher meine Gesellschaft vorziehen.«
Ich drehte mich erschrocken zu ihm um. Er hatte mich also doch beobachtet.
»Sie hat ein Faible für Hexen«, fügte er hinzu.
Schließlich erhob er sich, rollte das Pergament zusammen und warf es auf einen Stapel.
Als er langsam um den Schreibtisch herum auf mich zukam, erwachte mein Fluchtinstinkt. Ich robbte von ihm weg, bis ich die kalten, glatten Steine der Wand im Rücken spürte. Ich saß in der Falle. Angst machte sich in mir breit. Ich schloss die Augen und wünschte mir sehnlichst, dass ich das alles nur träumte und jeden Moment aufwachen würde. Doch es geschah nicht. Stattdessen kam der Mann immer näher. Ich hörte, wie er atmete, seine Schritte auf dem steinernen Fußboden. Instinktiv hielt ich mir schützend einen Arm vors Gesicht.
»Wie kommt es bloß, dass die Frauen immer versuchen, vor mir zu flüchten?«, fragte er.
Er klang amüsiert. Sein Lachen irritierte mich. Vorsichtig lugte ich unter meinem Arm hindurch. Er saß direkt vor mir in der Hocke und sah mich belustigt an. Mein Puls raste noch immer und ich spürte, wie mir das Herz beinahe bis zum Halse schlug.
Er blieb eine Weile so vor mir sitzen, während ich ihn anstarrte wie ein verschrecktes Kaninchen. Der Schein des Feuers reichte gerade so weit zu uns herüber, dass ich ihn ein wenig besser erkennen konnte. Und dann traf es mich wie ein Schlag.
Es konnte einfach nicht möglich sein. Er sah genauso aus, wie der Mann auf dem Portrait in dem roten Buch. Er war älter als ich, schätzungsweise um die Zwanzig, hatte dunkles, leicht gewelltes Haar, das er im Nacken zu einem Zopf gebunden hatte, und kornblumenblaue Augen, die mich neugierig anblickten.
Er trug eine sandfarbene Kniebundhose, die an den Enden in weiße Strümpfe überging, und seine Füße steckten in feinen, schwarzen, mit silbernen Schnallen besetzten Lederschuhen, die nach vorne hin spitz zuliefen. Der dunkelblaue Gehrock, den er über seiner hellblau-gemusterten Weste trug, war an den Rändern mit einer goldenen Stickerei versehen und brachte die Farbe seiner Augen besonders gut zur Geltung. Um den Hals hatte er ein weißes Tuch gebunden, das vorne ein Stück aus seiner Weste herausragte. Im direkten Vergleich hatte er nichts mehr von Johnny Depp. Ich erwischte mich dabei, wie ich vielmehr daran dachte, dass er aussah wie ein Engel.
Aber wie konnte es sein, dass er jetzt hier war? Er war doch schon seit mehreren hundert Jahren tot. In meinem Kopf fuhren die Gedanken Karussell. Wenn er also tatsächlich vor mir stand, würde das bedeuten, dass ich mich nicht mehr auf Tante Battys Party, sondern in seiner Zeit, also in der Vergangenheit befand. Das konnte aber doch unmöglich sein. Wie sollte ich dort hingekommen sein? Ich suchte fieberhaft nach einer plausiblen Erklärung, doch mir
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