Zauber der Vergangenheit
Erfahrungen gemacht«, sagte sie und ließ mein Handgelenk los.
»Ja, das kann ich verstehen.« An ihrer Stelle würde ich mir auch dreimal überlegen, wem ich mein Geheimnis anvertraue. In diesem Moment trafen wir eine stumme Abmachung. Ich verriet ihr Geheimnis nicht und dafür behielt sie meines für sich.
»Komm, lass uns zurück zum Feuer gehen, bevor Drew etwas bemerkt«, sagte sie. Sie nahm meine Hand und führte mich zuverlässig in die richtige Richtung. Es dauerte nicht lange, da standen wir wieder auf der kleinen Lichtung. Drew lag schlafend neben dem Feuer. Lilian legte einen Finger an die Lippen und wir schlichen uns näher heran. Das Feuer war schon ziemlich weit heruntergebrannt. Lange würde es uns nicht mehr wärmen und schützen können. Doch Lilian hatte es bereits bemerkt und ließ die Flammen wieder aufzüngeln.
»Sobald er morgen früh die Augen öffnet, wird es erlöschen«, flüsterte sie mir zu. »Er wird also gar nichts merken.« Ihr Blick ruhte sanft und wohlwollend auf Drew.
KAPITEL 9
MARLOW
Wir hatten beinahe den halben Vormittag damit verbracht Schleichwege nach Marlow zu suchen, von denen Lilian überzeugt war, dass sie ungefährlich und vor allem unbewacht seien. Mal davon abgesehen, dass sie Recht behalten hatte, war es aber auch alles andere als ein Spaziergang gewesen. Meistens war es schlicht unmöglich auf diesen Wegen ein Pferd zu benutzen, weswegen wir den ein oder anderen zusätzlichen Umweg in Kauf nehmen mussten.
Bei der Ankunft in Marlow hatte Drew unsere Pferde dann schließlich an einen Bauern verkauft, um unsere Reisekasse ein wenig aufzubessern.
Marlow selbst war eine Kleinstadt. Ähnlich wie in Oxford gab es hier viele, kleine, verwinkelte Gassen, doch es herrschte lange nicht so ein reger Betrieb auf den Straßen. Ging in Oxford schon alles langsam und gemächlich zu, so schien die Zeit hier praktisch stehen geblieben zu sein. Die Leute auf den Straßen standen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich über den neuesten Klatsch und Tratsch. In der Ferne hörte ich das dumpfe Geräusch der Kirchenglocken. Mein Blick fiel auf den Kirchturm, der ein wenig windschief über die anderen Dächer hinausragte und beinahe in den tiefhängenden Wolken verschwand. Mit ein wenig Mühe konnte ich erkennen, dass die Zeiger drei Uhr nachmittags anzeigten.
»Wann beginnt der Ball noch gleich?«, fragte ich beiläufig.
»Um acht Uhr«, antwortete Drew.
»Da haben wir ja noch etwas Zeit«, bemerkte ich und blickte besorgt nach oben. Hoffentlich regnete es nicht.
»Das ist auch gut so. Wir müssen nämlich vorher unbedingt noch etwas Passendes zum Anziehen kaufen«, platzte Lilian dazwischen.
»Aber geht das denn nicht auch so?« Ich sah an mir herunter.
»Du warst noch nie auf einem Ball, oder?«, fragte Lilian.
»Nein, aber wir wollen ja auch nicht besonders lange bleiben«, gab ich zu bedenken.
»Das weiß man vorher nie. Und so, wie du jetzt gekleidet bist, würdest du dort auffallen, wie ein bunter Hund. Vertrau mir, ich kenne mich da aus.« Sie pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Und du brauchst auch etwas Eleganteres«, bemerkte sie mit einem Blick auf Drew. »Ich will dir wirklich nicht zu nahetreten, aber mit den Sachen, die du jetzt gerade anhast, kannst du da nicht auftauchen, zumal sie auch schon ein bisschen in Mitleidenschaft gezogen sind.«
»Was schlägst du denn stattdessen vor?«, fragte er leicht pikiert. Ich musste kichern. Drew mochte es gar nicht, wenn man an ihm herummäkelte.
»Ich habe gehört, dass es hier auch ein paar exzellente Herrenschneider geben soll. Die können dir bestimmt etwas Passendes heraussuchen«, antwortete sie mit einem versöhnlichen Lächeln.
»Also gut, dann los«, sagte Drew voller Elan, doch Lilian hielt ihn mit einem energischen Kopfschütteln zurück. »Nichts da! Das ist reine Frauensache.« Sie hakte sich bei mir unter und sah mich entschlossen an. »Für so etwas braucht man Zeit und da du dich ja auch noch einkleiden musst, schlage ich vor, dass ich mit Violet etwas aussuchen werde, und du gehst los und tust dasselbe.« Ihr Ton war spielerisch, aber dennoch bestimmt.
»Na gut, dann treffen wir uns eben um sieben Uhr wieder hier«, murrte Drew. Offensichtlich passte es ihm gar nicht ausgeschlossen zu werden. »Aber seid bitte pünktlich.« Er nahm kurz meine Hand und sah mich eindringlich an. Währenddessen ließ er unauffällig ein paar Münzen hineinfallen.
»Keine Angst, du kannst dich auf
Weitere Kostenlose Bücher