Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
er.
»Nein, Gideon. Ich sah sie durchaus bei der einen oder anderen Gelegenheit, aber ich glaube, wir wurden uns noch nicht vorgestellt.« Die ältere Frau schenkte Judith ein freundliches Lächeln. Bei aller oberflächlichen Freundlichkeit jedoch hatte Judith das untrügliche Gefühl, dass das Erscheinen von Gideons Tante nicht allein gesellschaftlicher Höflichkeit geschuldet war.
»Also, Tante Louisa, darf ich dir Lady Chester vorstellen? Lady Chester, dies ist meine Tante, Lady Radbury.«
»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen«, sagte Judith ebenso höflich lächelnd wie die Ältere – und nicht minder gekünstelt. »Lord Warton spricht sehr liebevoll von Ihnen.«
Lady Radbury schnaubte verächtlich. »Ich kann kaum glauben, dass Gideon überhaupt über mich spricht, geschweige denn liebevoll.«
»Wenn ich von dir spreche, Tante Louisa«, erklärte Gideon mit einer Ernsthaftigkeit, die nicht zu dem amüsierten Funkeln in seinen Augen passte, »dann nur mit der allergrößten Zuneigung.«
»Wahrscheinlich, weil ich sehr vermögend bin.«
»Ich bin selbst recht vermögend.« Gideons Stimme klang plötzlich streng, und Judith hatte den Eindruck, dass dieser Dialog zwischen Tante und Neffe nicht zum ersten Mal stattfand. »Ich brauche dein Vermögen nicht.«
»Umso schlimmer.« Lady Radbury schüttelte den Kopf. »Es ist furchtbar, wenn eine Dame in meiner Position ihren Verwandten nicht einmal mit Verarmung drohen kann, um zu bekommen, was sie will«, beklagte sie sich mit einem verärgerten Seitenblick zu Gideon. »Du könntest mir wenigstens diese kleine Freude gönnen, Gideon.«
»Wenn es dich denn glücklich macht, werde ich versuchen, mein Vermögen zu verprassen«, erwiderte er trocken.
»Ja, das würde ich reizend finden und sehr zu schätzen wissen.« Sie setzte sich auf Gideons Platz und sah Judith prüfend an. »Nun dann, sei ein guter Neffe und hol uns ein paar Erfrischungen. Ich würde mich gern kurz allein mit Lady Chester unterhalten.«
Gideon blickte von seiner Tante zu Judith und wieder zurück. »Nein.«
»Nein?«, wiederholte sie. »Was meinst du mit nein ?«
»Ich meine, auf keinen Fall«, erklärte Gideon gelassen, aber bestimmt. »Ich halte das für keine besonders gute Idee.«
»Sei nicht albern, mein Junge! Ich habe nicht vor, sie bei lebendigem Leibe zu verschlingen, und ich wage zu behaupten, dass Lady Chester sehr wohl auf sich selbst aufpassen kann.«
»Das kann ich durchaus, wenngleich ich bezweifle, dass es notwendig sein wird.« Judith schaute zu Gideon. »Ich würde außerordentlich gern mit deiner Tante plaudern. Außerdem könnte ich ebenfalls eine Erfrischung gebrauchen.«
Gideon schüttelte warnend den Kopf. »Dennoch ist es keine gute Idee.«
Lady Radbury stöhnte. »Was stellst du dir bloß vor, was ich tun werde?« Sie nickte Judith zu. »Gemeinhin weiß ich mich zu benehmen. Ja, ich möchte sagen, ich kann sogar außergewöhnlich charmant sein, wenn mir der Sinn danach steht.«
»Dann sei es«, sagte Gideon in einem unverhohlen drohenden Ton, bevor er sich an Judith wandte: »Bist du sicher?« Er schien ernstlich besorgt, und ihr wurde gleich wunderbar warm ums Herz.
»Bin ich«, antwortete sie und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
»Nun gut.« Wieder sah er zu seiner Tante. »Benimm dich.« Und mit einem Nicken zu Judith, fügte er hinzu: »Ich bin gleich zurück.«
»Schließ bitte die Tür hinter dir.« Mit diesen Worten winkte Lady Radbury ihn hinaus.
Gideon warf Judith noch einen letzten Blick zu und ging.
»Gefällt Ihnen das Stück bisher?«, begann Lady Radbury.
»O ja, tut es. Es ist recht gut gespielt«, antwortete Judith lächelnd. Freundliches Geplauder war nicht das, was sie von Lady Radbury erwartete, also musste es sich wohl nur um den Auftakt handeln. »Ich genieße Shakespeare immer sehr. Und Wie es euch gefällt ist eines meiner Lieblingsstücke von ihm.«
»Ach ja?« Lady Radbury runzelte die Stirn. »Ich finde es ein bisschen albern. Dieser ganze ›Wer liebte je und nicht beim ersten Blick‹-Unsinn.«
»Sie halten es für Unsinn?«
»Aber gewiss doch!« Sie musterte Judith streng. »Sie etwa nicht?«
»Ganz und gar nicht. Ich finde...«, Judith überlegte kurz, »... es macht Hoffnung. Ja, es ist vielversprechend, fast wie ein Ideal.«
»Mag sein«, sagte Lady Radbury mit einem nachdenklichen Kopfnicken. »Sie sehen heute Abend ganz bezaubernd aus, meine Liebe, aber das tun Sie ja immer.«
»Wie freundlich von Ihnen, das zu
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