Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
sagen.« Judith fragte sich, wann die ältere Frau die höfliche Plänkelei einstellen und zum eigentlichen Grund des Gesprächs kommen würde. Es sei denn, sie wollte als Nächstes über das Wetter sprechen.
»Wenngleich wir nie einander vorgestellt wurden, weiß ich doch einiges über Sie.«
Offensichtlich blieb Judith das Wetter erspart. Sie wappnete sich. »Ist das gut oder schlecht?«
»Beides.« Lady Radbury betrachtete sie eingehend. »Ehe ich fortfahre, sollten Sie wissen, dass ich zwar seit zwanzig Jahren verwitwet bin, diese Jahre allerdings nicht gänzlich ohne männliche Gesellschaft verbrachte.«
»Ach wirklich?«, sagte Judith matt. Das war überhaupt nicht, was sie erwartet hätte.
»Wir haben eine Menge gemein, Sie und ich. Wir beide verfügen über die Mittel, die finanziellen meine ich, so zu leben, wie es uns erstrebenswert erscheint. Und das noch dazu ohne unerwünschte Einmischung vonseiten irgendwelcher Herren. Wir befinden uns mithin in einer ausgesprochen glücklichen Lage.«
Judith nickte zögernd, blieb aber still. Sie wollte lieber hören, was genau Gideons Tante ihr zu sagen hatte.
»Sie sehen also, meine Liebe, ich verstehe Sie weit besser, als Sie glauben. Trotzdem.« Sie sah Judith in die Augen und beugte sich leicht zu ihr. »Ich halte Sie für die vollkommen falsche Frau für meinen Neffen.«
»Tun Sie das?«, fragte Judith.
»Ja, das tue ich.« Lady Radbury richtete sich wieder in ihrem Sessel auf. »Zunächst einmal sind Sie sowohl viel zu intelligent als auch viel zu unabhängig für ihn. Er braucht eine Frau, die ihr Leben ihm und ausschließlich ihm widmet, und das gern und voller Dankbarkeit für ihr Glück.«
»Lady Radbury, ich...«
»Darüber hinaus sind Sie wirklich zu alt für ihn.«
»Zu alt?«
»Ja.« Lady Radbury musterte sie von oben bis unten. »Sie können unmöglich mehr als ein oder zwei Jahre jünger sein als er.«
»Ich bin dreißig«, erwiderte Judith ein wenig betroffen. »Gerade geworden.«
»Eben drum. Der Herr ist mein Zeuge, ich habe im Laufe der Jahre versucht, ihn anständigen jungen Damen vorzustellen, aber bisher war er nie sonderlich interessiert. Um ehrlich zu sein, ich habe noch nie erlebt, dass er von einer Frau fasziniert war, von irgendeiner, bis Sie kamen.«
»Wir haben kaum...«
»Ihren Namen erwähnte er erstmals vor über einem Monat«, fiel Lady Radbury ihr streng ins Wort. »Oh, nur beiläufig, versteht sich, als wäre es bar jedweder Bedeutung. Allerdings ist er weniger clever, als er denkt, wohingegen ich deutlich klüger bin, als er annimmt. Heute Abend ist das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass ich mich entsinne, ihn mit einer Frau in der Öffentlichkeit zu sehen.« Sie hielt inne, als überlegte sie, ob es klug war, zu sagen, was sie als Nächstes sagen wollte. »Was wissen Sie über Gideons Vergangenheit?«
»Sehr wenig.«
»Wissen Sie von seiner Heirat?«
»Ich weiß, dass er kurz verheiratet war.«
»Es war eine schreckliche Zeit für ihn, und sie war ein furchtbares, biestiges Ding.« Lady Radbury kniff die Lippen zusammen. »Gideon war natürlich ein ziemlicher Narr, aber das sind Männer ja allgemein, wenn sie glauben, sie wären verliebt.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, Lord Warton jemals als Narren zu beschreiben«, murmelte Judith.
»Damals war er nicht der Mann, der er heute ist. Mein liebes Kind, das alles liegt bereits neun Jahre oder mehr zurück.« Die Ältere blickte finster vor sich hin. »Es wurde alles sehr still geregelt, aber manche Gerüchte ließen sich dennoch nicht vermeiden. Haben Sie seinerzeit nichts davon gehört?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Vor neun Jahren trauerte Judith noch um ihren eigenen Verlust und interessierte sich nicht im Mindesten für Gerüchte oder irgendetwas anderes außer ihrem eigenen Kummer.
»Das will was heißen, schätze ich«, meinte Lady Radbury. »Auf jeden Fall dachte Gideon, er wäre in die junge Frau verliebt und seine Gefühle würden von ihr erwidert. Außerdem meinte er, sie vor einer unglücklichen Ehe zu bewahren. Sie war bereits mit einem anderen verlobt.« Gideons Tante seufzte. »Sie brannten durch, wurden allerdings sofort von ihrem Vater und ihrem Verlobten aufgespürt. Die Ehe wurde annulliert, und Gideon war am Boden zerstört.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Judith nachdenklich. »Wenn sie sich liebten...«
»Genau darin lag das Problem. Er war in sie verliebt, aber sie benutzte ihn lediglich zu ihren Zwecken, nämlich um ihren
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