Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
Geschenk.« Sie öffnete die Tür und wandte sich noch einmal zu ihm um. »Die eigentliche Frage ist nicht die nach dem Ob , Mylord, sondern nach dem Wann . Guten Abend.« Sie nickte, ging ins Haus und schloss die Tür hinter sich.
Für einen kurzen Moment starrte ihr Gideon verwirrt nach, dann begriff er, was sie gesagt hatte, und lächelte.
Lady Chester würde fraglos eine Herausforderung werden. Nicht was die Verführung betraf, denn die stand bereits außer Frage. Aber während sie bei anderen Damen das Ende des Werbens andeutete, hatte er bei dieser bestimmten Dame das seltsame Gefühl, die Verführung wäre erst der Anfang.
»... für sie allein brannte sein Verlangen...«
Judith schlich sich zurück in den Salon und war zur Abwechslung einmal dankbar, dass die Rezitationen von Susannas Neffen sich endlos hinzogen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung setzte sie sich neben eine ältere Dame, die sie zunächst verwirrt anblinzelte, dann aber gedankenverloren lächelte. Judith verkniff sich ein Lächeln. Offenbar hatte sie die Frau geweckt.
Aus dem Augenwinkel hatte sie beobachtet, wie Lord Warton unauffällig zurückkam. Er stand nun hinten im Saal: ruhig und gelassen, ein distanzierter Beobachter, den nichts von dem zu berühren schien, was um ihn herum geschah. Dennoch wirkte er weniger zynisch, als er sich gemeinhin gab. Nun vermochte ein kurzes Gespräch auf der Terrasse natürlich nicht genügend Aufschluss über das Wesen eines Mannes zu geben, um ihn zu beurteilen. Fest stand jedoch, dass Judith sich angesichts dessen, was sie von ihm hörte und wie sie ihn selbst erlebte, ein falsches Bild gemacht hatte. Überraschenderweise fand sie ihn weit amüsanter, als sie erwartete. Auch wenn sie damit gerechnet hatte, Verlangen zu empfinden, war sie doch nicht darauf gefasst gewesen, dass er sie zum Lachen brachte.
Und die Schmetterlinge in ihrem Bauch kamen gänzlich unerwartet. Nein, Schmetterlinge traf es nicht. Schmetterlinge waren zarte, zerbrechliche Wesen. Was da hingegen in ihrem Bauch herumflatterte, war weit größer als irgendein Insekt. Eher wie Gänse, eine ganze Schar von Gänsen, die mit den Flügeln schlugen und aufgeregt schnatterten. Sollte sie es wagen, im falschen Moment den Mund zu öffnen, würde ihr wahrscheinlich ein lautes Schnattern sowie eine Feder entweichen. Bei der Vorstellung musste sie an sich halten, nicht laut loszulachen.
Die Dame neben ihr lehnte sich näher herüber und flüsterte: »Schon gut, meine Liebe, es wird bald vorbei sein, und dann können wir uns einen Moment sammeln für die«, sie seufzte erschöpft, »nächste Darbietung.«
»Vielleicht wird die ja ganz nett«, meinte Judith verzweifelt optimistisch.
Die ältere Frau betrachtete sie unverhohlen skeptisch, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder ganz Susannas Neffen widmete.
»... wo die Blumensträußchen ihre grazilen Köpfe zu einem liebevollen Adieu neigen...«
Judith lächelte und versuchte, sich auf den Vortrag zu konzentrieren – oder zumindest so auszusehen, als hörte sie aufmerksam zu. Ihre Gedanken indes waren überall, nur nicht bei der leidenschaftlich vorgetragenen, doch erbärmlich schlechten Poesie.
Sie hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass Lord Warton bald das Bett mit ihr teilen würde. Das wusste sie bereits seit ihrem Twelfth-Night-Ball mit absoluter Sicherheit. An jenem Abend war die Luft zwischen ihnen nachgerade entflammt, angefacht von Erregung und Vorfreude. Beides hätte sie verstört, wäre es nicht zugleich so unglaublich aufregend und ein winziges bisschen gefährlich gewesen. Sie war nicht sicher, ob sie jemals etwas Derartiges empfunden hatte. Obwohl... einmal vielleicht, vor langer Zeit, als sie noch sehr jung und sehr naiv war. Ja, wann immer sie sich heute in ein neues Abenteuer mit einem Gentleman begab, tat sie es natürlich auch mit einer gewissen Vorfreude. Nicht dass es in all den Jahren besonders häufig vorgekommen war. Sie war wählerisch und anspruchsvoll. Judith musste einen Mann mögen, bevor sie mit ihm ins Bett ging. Folglich waren ihre Liebhaber zuerst und auch danach vor allem Freunde. Und ihre Freunde während ihrer Witwenschaft ließen sich an einer Hand abzählen. Genauer gesagt, wollte man Freund und Abenteuer streng auslegen, könnte sie sogar auf den Daumen wie auch einen Finger verzichten, um sie zu zählen.
Sie blickte diskret zu Lord Warton. Er starrte Susannas Neffen mit einem Blick an, der einen Deut zu höflich war, um gelangweilt zu
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