Zauber einer Karibiknacht
ihm verheimlicht.“
„Das brauchte er auch nicht zu wissen.“ Melinda blickte zum Hafen hinaus, wo die ersten Fischerboote von ihrer Fangtour heimkehrten. Einige Kinder fütterten die Möwen. Auf Tesoro ging das Leben weiter.
„Offenbar hätte er es doch ganz gerne gewusst“, erwiderte Kathy. „Kein Mann spielt gerne den Platzhalter für einen anderen. Und ein King ja schon mal gar nicht.“
„Sean hat so ziemlich dasselbe gesagt, aber er soll doch nicht Steven ersetzen. Das könnte keiner.“
Melinda ignorierte Kathys hörbares Seufzen. Sie hatte nie verstanden, warum ihre Freundin Steven nicht gemocht hatte, und diese hatte auch nie darüber reden wollen. Mittlerweile war es Melinda egal. Es spielte keine Rolle mehr. Steven war tot und sie mit einem anderen Mann verheiratet.
„Eins hast du mir noch nicht erzählt“, sagte Kathy.
„Was denn?“
„Wie es war, mit ihm da draußen hinter dem Hotel rumzumachen.“
„Gut.“
„Gut?“
„Mehr als gut.“ Melinda seufzte. „Großartig. Einfach wunderbar. Überwältigend.“
„So, so.“ Kathy lächelte vielsagend.
„Und das schockiert mich ja so. Wie kann ich so für jemand anderen empfinden?“
„Schatzilein, du bist doch noch keine achtzig. Und schon gar nicht tot. Es ist ganz normal, dass du dich danach sehnst, etwas zu fühlen. Wieder zu leben.“
Verstockt schüttelte Melinda den Kopf. Davon wollte sie nichts hören. Auf keinen Fall wollte sie sich erlauben, etwas für Sean zu empfinden.
Denn das hätte bedeutet, Steven zu vergessen. Die Liebe zu Steven aber sollte für die Ewigkeit sein, das hatte sie sich geschworen. Sie konnte die Erinnerungen an ihn nicht opfern, egal was Sean King in ihr auslöste. Der würde in zwei Monaten wieder verschwunden sein, aber die Erinnerung an Steven würde ihr bleiben. Es war das Einzige, was sie ihrem verstorbenen Verlobten noch geben konnte: ihre Treue.
Das war sie ihm schuldig. Oder?
„Du kannst deinem Großvater ausrichten, dass die bestellten Erdbeeren am Wochenende kommen.“
„Danke, Sallye“, erwiderte Melinda und lächelte die Marktfrau an. „Ich sag’s ihm.“
Es war noch früh am Morgen, und nur wenige Menschen bevölkerten den Wochenmarkt. Melinda kannte die meisten von ihnen und grüßte freundlich, während sie zurück zu ihrem Auto ging.
Es war bewölkt. Auf dem Wasser waren nur ein paar Fischerboote zu sehen. Möwen flogen durch die Luft.
„Wieder mal ein wunderschöner Tag“, murmelte sie mutlos vor sich hin. Das Herz war ihr schwer.
Normalerweise stand sie gerne früh auf. Aber jetzt war sie übernächtigt, weil sie kaum hatte schlafen können. Seit ihrer Hochzeit hatte sie überhaupt nur selten mehr als zwei Stunden am Stück geschlafen. Versonnen blickte sie auf den funkelnden Ring an ihrem Finger.
Nein, so hatte sie sich das Ganze nicht vorgestellt. Ihre falsche Ehe hätte – na ja – problemlos sein sollen. Doch sie war das genaue Gegenteil.
In den Tagen seit der Hochzeit hatte sie nur ihre Rolle gespielt, seelenlos, automatisch. Wenn andere Leute dabei waren, gab sie die glückliche frisch verheiratete Ehefrau. Wenn sie mit Sean allein war, herrschte ein merkwürdiger, fast beklemmender Waffenstillstand. Sean war zwar ausgesucht höflich zu ihr, aber auch überaus distanziert. Ein wirkliches Gespräch war kaum möglich.
Sie musste an die Hochzeitsnacht zurückdenken. Nachdem sie Sean draußen hatte stehen lassen, war sie in die Penthouse-Suite hochgefahren, in der sie schon so lange wohnte. Sie hatte geduscht, sich ein Nachthemd angezogen und sich ins Bett gelegt. Und gewartet.
Rückblickend war es ihr fast peinlich, aber sie hatte tatsächlich gehofft, dass Sean in dieser Nacht zu ihr kommen würde. Hatte gedacht, dass er nach den heißen Momenten im Mondlicht – auch wenn das Ende wenig harmonisch gewesen war – einfach nicht anders können würde, als sich zu ihr zu gesellen.
Dann wäre er derjenige gewesen, der die Abmachung gebrochen hätte. Dann hätte sie das Beisammensein mit ihm genießen können, sich aber gleichzeitig vormachen können, dass sie ihn eigentlich gar nicht gewollt hätte.
Doch natürlich wollte sie ihn. Sehr sogar. Mehr, als sie je für möglich gehalten hätte. Sie konnte es ja selbst kaum glauben. Seit Stevens Tod hatte kein Mann sie mehr interessiert. Nicht im Traum hatte sie damit gerechnet, dass sie für Sean etwas empfinden würde. Aber das tat sie. Und wie.
Um sich über ihre Gefühle klar zu werden, fasste sie im
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