Zauber einer Karibiknacht
nicht verstehen, warum in dieser Familie alles geheim gehalten wurde. Melinda verheimlichte ihrem Großvater die Abmachung wegen der Hochzeit, er wollte sie nicht wissen lassen, dass er in Geldnöten war. Sie weigerte sich, über Steven zu reden, und der alte Herr schien aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein.
Seine Familie war da ganz anders. Das genaue Gegenteil. Da wurde munter drauflosgeredet, da kam alles auf den Tisch, und wenn man sich darüber in die Haare bekam, war es auch nicht schlimm. Streit reinigte die Luft.
Nur eines habe auch ich meinen Brüdern verheimlicht, dachte Sean. Meine erste Ehe. Warum eigentlich? War sie mir peinlich, hatte ich Angst vor Vorwürfen? Eigentlich dumm. Man sollte der Familie alles sagen. Vor allem meiner Familie.
„Ich möchte mich da nicht einmischen, Walter“, begann Sean vorsichtig. „Aber ist es wirklich eine gute Idee, Melinda etwas vorzumachen?“
„Warum sollte ich sie beunruhigen, wo doch bald alles wieder in Ordnung kommt?“, fragte Walter augenzwinkernd. „Wenn ich von euch das Geld für mein Land bekommen habe, bin ich wieder flüssig. Dann renoviere ich das Hotel – dein Cousin braucht ja nicht alle neuen Touristen –, und Melinda braucht nie etwas von meinem finanziellen Engpass zu erfahren.“
„Ich hatte eher gedacht, du würdest dich irgendwann zur Ruhe setzen“, warf Sean ein. Es überraschte ihn, dass Walter weiter im Geschäft bleiben und mit den Kings sogar in Konkurrenz treten wollte.
„Zur Ruhe setzen?“ Der alte Herr machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist was für alte Leute. Für richtig alte Leute. Was sollte ich denn dann den ganzen Tag machen? Nein, nein, du wirst schon sehen, so wie ich es mache, ist es richtig. Melinda bekommt ihren Treuhandfonds, ich modernisiere das Hotel, und alle sind glücklich.“
„Hier im Paradies“, murmelte Sean.
„Wie bitte?“
„Ach, nichts“, erwiderte Sean und hörte sich geduldig Walters Modernisierungspläne für das Hotel an. Doch seine Gedanken waren weiter oben – bei Melinda in der Penthouse-Suite.
Die vergangenen Wochen mit ihr waren großartig gewesen, mit dem heutigen Tag als absolutem Höhepunkt. Aber diese Ehe hatte ein Verfallsdatum. Und das rückte immer näher.
Wie sollte das Ganze nur funktionieren, wenn ihre gemeinsame Zeit vorüber war und er sich wegen des Hotelprojekts immer noch auf der Insel befand? Er fühlte sich mittlerweile so mit Melinda verbunden, dass er große Schwierigkeiten heraufziehen sah.
So war das alles nicht geplant gewesen. Er gehörte nicht hier auf die Insel, sein Lebensmittelpunkt war Kalifornien. Dort war sein Zuhause, seine Familie. Diese winzige Tropeninsel war nichts für ihn. Und Melinda war nicht die Richtige für ihn.
Aber trotzdem …
Die Angelegenheit wurde immer komplizierter. Seine Brüder hatten recht gehabt. Er hätte sich auf Melindas Plan nicht einlassen dürfen.
Jetzt steckte er mittendrin im Schlamassel. Und das Schlimmste: Er wusste nicht einmal, ob er da wieder herauswollte.
10. KAPITEL
Eine halbe Stunde später verabschiedete Sean sich von Walter und nahm den Fahrstuhl zur Penthouse-Suite. Er konnte nur noch an Melinda denken, wollte mit ihr zusammen sein.
Solange es noch ging.
Er freute sich darauf, endlich nicht mehr auf diesem verflixten Sofa schlafen zu müssen, sondern bei Melinda. Mit Melinda. Es war ein langer Tag gewesen, und eigentlich hätte er erschöpft sein müssen. Aber das Gegenteil war der Fall. Sie gab ihm so viel Kraft und Lebenslust! Eigentlich hätte ihn das beunruhigen müssen, aber stattdessen freute er sich darauf, sie wieder zu berühren.
Als er die Suite betrat, hörte er ein herzzerreißendes Schluchzen. Das Herz blieb ihm fast stehen. Sofort folgte er den Geräuschen und landete in ihrem Schlafzimmer. Sie saß mit angewinkelten Beinen auf dem Fußboden vor ihrem Bett. In den Händen hielt sie ein gerahmtes Foto, das sie immer wieder ansah. Dabei weinte sie, als ob ihr jemand das Herz gebrochen hätte.
Beunruhigt ging er auf sie zu und kniete sich neben sie. „Melinda, was ist denn?“
Kummervoll sah sie ihn an. Ihr Make-up war tränenverschmiert.
Zärtlich umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen. „Sag doch was. Erzähl mir, was passiert ist.“
„Ich hätte es nicht tun dürfen“, schluchzte sie. „Ich wollte ihm das nicht antun. Aber jetzt habe ich es getan, und …“
„Wovon redest du überhaupt?“ Heimlich erhaschte er einen Blick auf das Foto. Es zeigte einen
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