Zauber einer Karibiknacht
lächelnden gut aussehenden Mann, und Sean wusste sofort: Das musste er sein. Steven.
„Verflixt, Melinda, quäl dich doch nicht so“, murmelte er.
„Ich wollte ihn heiraten“, schluchzte sie. „Ich habe ihn geliebt. Und heute habe ich …“
„Melinda.“
„Nein, lass mich.“ Voller Selbsthass schüttelte sie den Kopf. „Es ist, als ob ich ihn betrogen hätte. Nicht nur, weil ich Sex hatte – nein, vor allem, weil ich es so genossen habe.“
Sean konnte ihr Leid kaum ertragen. Und das Schlimmste war: Es lag an ihm. Nur weil er sie verführt hatte, empfand sie jetzt solche Schuldgefühle.
So schuldig er sich auch selbst fühlte, er musste sie trösten. „Es ist wirklich tragisch, dass du Steven verloren hast“, begann er. „Aber er ist tot, und du bist am Leben. Für dich geht das Leben weiter. Für dich muss es weitergehen.“
Sie seufzte schwer. „Du verstehst das nicht.“
„Doch, was Schuldgefühle angeht, bin ich Spezialist“, murmelte er, legte ihr einen Arm um die Schulter und zog sie an sich. Erst sträubte sie sich, dann kuschelte sie sich an ihn. „Schuldgefühle nagen an einem und fressen einen nach und nach auf. Bis nichts mehr übrig ist. Und das darf man nicht zulassen, Melinda.“
„Wieso hast du Schuldgefühle?“, fragte sie leise. „Das musst du mir erzählen.“
Jahrelang hatte er diese Geschichte aus seinen Gedanken verdrängt. Nur seinem Vater hatte er sie einmal erzählt. Jetzt würde er also wieder etwas mit Melinda teilen, was er sonst fast niemanden wissen ließ.
„Ich hatte dir doch erzählt, dass ich in Las Vegas gelebt habe, bis ich sechzehn war.“
Sie nickte.
„Mit sechzehn“, erzählte er mit tonloser Stimme, „war ich nämlich endlich groß genug – stark genug –, um dem gewalttätigen Freund meiner Mutter eine zu verpassen.“
„Oh, Sean …“ Teilnahmsvoll ergriff sie seinen Arm.
Ihre mitfühlende Berührung tat ihm gut. Seine Gedanken rasten zurück. Zurück in dieses schäbige kleine Apartment in Las Vegas.
„Die Klimaanlage war mal wieder kaputt“, sagte er. „Es war so heiß und stickig, dass man kaum Luft bekam.“
Einen Moment lang hielt er inne. „Eric, der Freund meiner Mutter, war ein Riesenkerl. Und er hatte – wie soll ich sagen – Probleme mit der Selbstbeherrschung.“ Er lächelte dünn. Das war noch sehr milde ausgedrückt. „Seit Jahren schlug er meine Mutter. Immer wieder hat sie ihn rausgeschmissen – und immer wieder zurückgenommen. Und ich konnte nichts dagegen tun.“
Sein Magen krampfte sich zusammen, als er an die unbändige Wut dachte, die ihn damals beherrscht hatte. Immer wieder hatte er den Tag herbeigesehnt, an dem er kräftig genug sein würde, seine Mutter zu verteidigen. Sie zu beschützen.
Und dann endlich, das fühlte er, war der Tag gekommen.
„Genau an meinem sechzehnten Geburtstag hat er sie wieder mal geschlagen. Und dann habe ich ihn geschlagen.“
Melinda hörte schweigend zu.
„Ein Schlag. Und der Kerl sackte zu Boden. Ich glaube, er war davon ebenso überrascht wie ich.“ Vor seinem inneren Auge sah er den Blick des Mannes. Voller Wut – und voller Angst.
„Er war wie die meisten dieser gewalttätigen Typen. Im Austeilen war er gut – aber nicht im Einstecken. Deshalb lag er einfach nur da und sah mich an.“
Einen Moment lang schloss Sean die Augen. „Meine Mutter hatte alles mit angesehen. Ich war so stolz auf mich, dass ich dachte, ich würde etwas Bewunderung oder Dankbarkeit von ihr ernten.“ Er lachte auf. „Weit gefehlt.“
„Was ist denn passiert?“, fragte Melinda leise.
Sean holte tief Luft. „Sie hat sich neben Eric gesetzt und ihm die Hand gehalten. Und mich hat sie angeschrien, ich solle gefälligst verschwinden.“
„Was?“
Es tat ihm gut, dass sie über das Verhalten seiner Mutter empört war. Das gab ihm die Kraft weiterzuerzählen. „Dann hat er sich hochgerappelt, sie beiseite geschubst und fluchtartig das Apartment verlassen. Er hat ganz schön gewankt, das hat mich stolz gemacht. Aber meine Mutter …“ Er hielt einen Moment inne und schluckte. „Sie hat mich angefaucht, sie wolle mich nie wiedersehen. Und dann ist sie ihm hinterhergelaufen.“
„Das war falsch von ihr“, kommentierte Melinda und blickte Sean voller Mitgefühl an. Es berührte ihn, dass sie so für ihn Partei ergriff.
„Ach, das ist vergangen und vergessen“, versicherte er ihr, obwohl er sich noch sehr gut an diesen schicksalhaften Tag erinnerte.
Der
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