Zauber einer Winternacht
mir das nicht?«, schlug sie vor. »Ich verstaue die Vorräte und setze den Kaffee auf, während Sie den Abschleppwagen bestellen.«
»Gut. Ich habe Milch mitgebracht. Frische.«
Sie lächelte. »Tee haben Sie wohl keinen?«
»Nein.«
»Dann tut Milch es auch. Danke.«
Nachdem er gegangen war, machte Laura sich an die Arbeit. Die Küche war viel zu klein, um ihr technische Probleme zu bereiten. Sie brachte die Vorräte nach ihrem eigenen System unter, da Gabriel offensichtlich keins hatte. Laura hatte erst eine der Taschen geleert, als Gabriel bereits zurückkehrte.
»Die Leitung ist tot.«
»Tot?«
»Es tut sich nichts. Passiert häufiger bei einem Schneesturm.«
»Oh.« Laura stand da mit einer Suppendose in der Hand. »Und dauert der Ausfall dann länger?«
»Kommt darauf an. Manchmal ein paar Stunden, manchmal eine Woche.«
Sie hob eine Braue. Dann wurde ihr klar, dass er es ernst meinte. »Ich schätze, dann befinde ich mich wohl ganz in Ihren Händen, Mr. Bradley.«
Er hakte die Daumen in die Hosentaschen. »In dem Fall nennen Sie mich besser Gabriel.«
Laura blickte stirnrunzelnd auf die Suppendose hinab. Jetzt kam es darauf an, das Beste aus der verfahrenen Situation zu machen. »Möchten Sie etwas Suppe?«
»Ja. Ich werde … äh … Ihre Sachen ins Schlafzimmer bringen.«
Laura nickte lediglich und begann mit der Suche nach einem Dosenöffner.
Die hat Format, entschied Gabriel, während er Lauras Koffer in sein Zimmer trug. Nicht dass er im Hinblick auf Frauen etwa ein Fachmann war, aber er war auch nicht gerade das, was man einen Anfänger nannte. Sie hatte nicht mit der Wimper gezuckt, als er ihr erzählt hatte, dass das Telefon nicht funktionierte und sie somit praktisch von der Außenwelt abgeschnitten waren. Oder, um es präziser zu formulieren, dass sie von allen Menschen außer ihm abgeschnitten war.
Gabriel blickte in den teilweise blinden Spiegel über seiner schäbigen Kommode. Soweit er wusste, hatte ihn noch niemand zuvor für harmlos gehalten. Ein rasches verwegenes Lächeln huschte über sein Gesicht. Wenn er es sich recht überlegte, war er nicht immer so harmlos gewesen.
Aber dies war natürlich eine völlig andere Situation.
Er wandte seine Überlegungen praktischeren Fragen zu. Schließlich hatte er einen Gast, eine einzelne Frau, die äußerst schwanger war. Und äußerst geheimnisvoll. Ihm war keineswegs entgangen, dass sie ihm nur ihren Vornamen genannt hatte. Wer sie war, woher sie kam und warum sie wohin unterwegs war, das hatte sie ihm bisher verschwiegen. Da es wenig wahrscheinlich war, dass sie eine Bank ausgeraubt oder für die Russen Staatsgeheimnisse ausspioniert hatte, würde er es vorläufig dabei belassen.
Aber angesichts der Stärke des Schneesturms und der abgeschiedenen Lage der Hütte würden sie wohl einige Tage zusammen verbringen müssen. Er nahm sich vor, mehr über diese zurückhaltende und rätselhafte Laura herauszubekommen.
Was sollte sie jetzt nur tun? Laura starrte auf den leeren Teller in ihrer Hand und erkannte darin die Andeutung ihres Spiegelbilds. Wie sollte sie nach Denver oder Los Angeles oder Seattle – oder jede andere Großstadt, die weit genug von Boston entfernt war – gelangen, wenn sie hier eingeschlossen war? Hätte sie doch nur nicht diesen unwiderstehlichen Wunsch verspürt, gleich heute Morgen aufzubrechen. Wenn sie noch einen Tag länger in dem kleinen ruhigen Motelzimmer geblieben wäre, hätte sie die Dinge vielleicht noch unter Kontrolle gehabt.
Stattdessen steckte sie hier in dieser Hütte, mit einem Wildfremden. Nicht irgendein beliebiger Wildfremder. Sondern Gabriel Bradley – wohlhabender, angesehener Künstler aus wohlhabender, angesehener Familie. Aber er hatte sie nicht erkannt. Da war Laura sicher. Jedenfalls noch nicht. Was würde geschehen, wenn er es tat, wenn er herausbekam, vor wem sie auf der Flucht war? Es war keineswegs auszuschließen, dass die Eagletons eng mit den Bradleys befreundet waren. Die schützende Geste, mit der ihre Hand sich auf den Bauch legte, kam ganz automatisch.
Sie würden ihr Baby nicht bekommen. Mochten sie auch noch so viel Geld und Macht dafür einsetzen, ihr Baby würden sie nicht bekommen. Und wenn es nach ihr ging, würden sie niemals herausfinden, wo sie und ihr Baby sich aufhielten.
Sie stellte den Teller ab und drehte sich zum Fenster um. Es war eigenartig, hinauszusehen und nichts erkennen zu können. Irgendwie gab es ihr das beruhigende Gefühl, dass umgekehrt auch
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