Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zauber-Schloss

Titel: Zauber-Schloss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
darüber nach. Er hatte sich seinen Sieg tatsächlich erlogen. War das so gedacht gewesen? Sollte es so sein? Er bezweifelte es. Schweigend faßte er den Vorsatz: keine Lügen mehr. Nicht, wenn sie nicht unvermeidbar waren. Wenn man eine Sache nicht mit ehrlichen Mitteln erringen konnte, dann war sie aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso wertlos.
    »Ich war mir ja noch nie so bewußt, was für ein Feigling ich eigentlich bin«, sagte Dor und wechselte das Thema geringfügig. »Ich werde wohl nie erwachsen werden.«
    »Ich bin auch ein Feigling«, tröstete ihn Grundy. »Ich hatte noch nie so viel Angst, seit ich wirklich geworden bin.«
    »Und jetzt haben wir noch ein Hindernis vor uns – das schlimmste von allen. Ich wünschte, ich wäre so groß wie ein Mann und genauso mutig!«
    »Ich auch«, meinte der Golem.
    Am Ende des Ganges befand sich eine gewöhnliche Tür mit einem gewöhnlichen Riegel. »Los geht’s, ob wir bereit sind oder nicht«, brummte Dor.
    »Du bist nicht bereit«, erwiderte die Tür.
    Dor beachtete sie nicht weiter. Er schob den Riegel beiseite.
    Sie blickten in einen kleinen Raum, dessen Wände mit Paradiesvogelfedern geschmückt waren. Vor ihnen stand eine Frau von vollkommener Schönheit und sah sie an. Sie trug ein Kleid mit tiefem Ausschnitt, juwelenbesetzte Sandalen, ein weites Tuch und eine importierte mundanische Brille. »Willkommen, meine Gäste«, hauchte sie mit einem solchen Wogen, daß Dors Blick sich unwillkürlich auf ihr Kleid heftete, dort, wo es am weitesten ausgeschnitten, aber auch am prallsten gefüllt war.
    »Äh… danke«, sagte Dor verblüfft. Das hier sollte die schlimmste Gefahr von allen sein? Er brauchte gar nicht die Augen eines Erwachsenen, um zu sehen, daß es eine Gefahr war, der nur wenige Männer aus dem Weg gehen würden.
    »Sie hat so etwas an sich… mir gefällt das nicht«, flüsterte Grundy ihm ins Ohr. »Ich kenne sie von irgendwoher…«
    »Laßt mich euch einmal ansehen«, sagte die Frau und legte die Hand an ihre Brille. Dors Blick wanderte von ihrem Busen in ihr Gesicht empor. Ihre Haare unter dem Tuch begannen sich zu bewegen, als seien sie eigenständige Lebewesen.
    Grundys Körper versteifte sich. »Schließ die Augen!« rief er. »Jetzt erkenne ich sie. Diese Schlangenlocken – das ist die Gorgone!«
    Dors Augenlider klappten herunter. Er lief weiter und versuchte, aus dem Raum zu kommen, bevor irgendein Unfall ihn doch dazu brachte, sie anzusehen. Er wußte, was es mit der Gorgone auf sich hatte: Ihr Blick verwandelte die Menschen zu Stein, wenn sie ihn erwiderten.
    Er stolperte blindlings über eine Stufe und stürzte zu Boden. Er warf die Arme vors Gesicht, um es zu schützen, behielt seine Augen jedoch geschlossen.
    Da hörte er, wie sich ihm rauschende Kleider näherten. »Steh auf, junger Mann«, sagte die Gorgone. Ihre Stimme war trügerisch sanft.
    »Nein!« rief Dor. »Ich will nicht versteinert werden!«
    »Du wirst auch nicht versteinert. Die Hindernisse sind überwunden, du hast dir deinen Weg ins Schloß des Guten Magiers Humfrey gebahnt. Niemand wird dir hier etwas zuleide tun.«
    »Hau ab!« rief er. »Ich schau dich nicht an.«
    Sie seufzte. Es klang sehr weiblich. »Golem, dann schau du mich an. Dann kannst du deinen Freund beruhigen.«
    »Ich will aber auch nicht versteinern!« protestierte Grundy. »Es hat mich viel zu viel Mühe gekostet, wirklich zu werden, als daß ich es jetzt einfach wegwerfen will! Ich habe doch gesehen, was aus den ganzen Männern geworden ist, die deine Schwester, die Sirene, auf deine Insel gelockt hat.«
    »Du hast aber auch gesehen, wie der Gute Magier mich außer Gefecht gesetzt hat. Es gibt keine Bedrohung mehr.«
    »Das stimmt! Er… aber woher soll ich denn wissen, ob dieser Zauber immer noch wirkt? Schließlich ist das schon so lange her…«
    »Nimm diesen Spiegel und schau mich erst darin an«, sagte sie. »Dann wirst du es schon wissen.«
    »Ich kann aber keinen großen Spiegel halten! Ich bin doch nur ein paar Zoll groß, nur ein… ach, was soll’s! Dor, ich werde sie einfach angucken. Wenn ich zu Stein werde, dann weißt du, daß man ihr nicht trauen darf.«
    »Grundy, nicht –«
    »Hab’ schon«, meldete der Golem erleichtert. »Alles in Ordnung, Dor, du kannst hinsehen.«
    Dor biß die Zähne zusammen und öffnete blinzelnd ein Auge. Er sah den erhellten Raum und einen Fuß der Gorgone. Es war ein sehr schöner Fuß, mit leuchtend bemalten Fußnägeln und einem wunderbaren

Weitere Kostenlose Bücher