Zauberhafte Versuchung
die in ihm hochstieg. »Ich will Esme sehen«, forderte er. Dieser Mann ist dein Vater, dachte er und war versucht, es dem Raben zu sagen, ihn wissen zu lassen, was er wusste. Aber das würde diesen Verbrecher nur triumphieren lassen. Hatte er nicht seine Familie zerstört, indem er mit der Enthüllung ihres Geheimnisses gedroht hatte? Nein, es gab keinen Grund für Fielding, den Raben wissen zu lassen, dass er die Wahrheit kannte.
»Alles zu seiner Zeit. Hast du dir mein Angebot noch einmal überlegt? Bist du zurückgekommen, um wieder für mich zu arbeiten? Denn wie du siehst-«, er hob das blutige Ding hoch, und erst jetzt erkannte Fielding, dass es eine abgetrennte Hand war-, »fehlt mir jetzt ein Angestellter.« Wieder lachte der Rabe seltsam schrill.
Fieldings Magen krampfte sich vor Furcht zusammen, aber er riss sich zusammen, es sich nicht anmerken zu lassen. »Es gibt nichts auf dieser Welt, was mich je wieder dazu bringen könnte, für dich zu arbeiten«, versetzte er schroff.
»Schade. Trotzdem müsstest du wissen, dass ich dir deine kleine Freundin nicht einfach so zurückgeben werde. Du solltest mich wirklich besser kennen, Junge.«
»Ich habe, was du willst. Es gehört dir, sobald Esme bei mir ist.«
Der Rabe richtete sich auf. »Du meinst die Büchse der Pandora? Du willst sie gegen das Mädchen eintauschen?« Spöttisch zog er eine Braue hoch. »Und dabei war sie so sicher, dass du das nicht tun würdest. Interessant.«
»Die Bedingung ist, dass du dich nie wieder in ihrer Nähe sehen lässt. Hast du das verstanden?«, fragte Fielding.
»Du liebe Güte, wie romantisch du geworden bist!« Der Rabe atmete tief aus. »Aber gut, mein Junge, wir haben also eine Abmachung. Zeig mir die Schatulle.«
»Zuerst bringst du Esme zu mir.« Nur um dem Raben zu beweisen, dass er es ernst meinte, entsicherte Fielding die Waffe und ließ die Kugel in die Kammer gleiten.
Diesmal zog sein Onkel beide Augenbrauen hoch. »Willst du mich erschießen?«, fragte er.
»Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme«, erwiderte Fielding. »Weil ich deinen Versprechungen nicht traue.«
»Wie du willst.« Der Rabe ging in das angrenzende Zimmer und kam kurz darauf mit Esme wieder, die er am Ellbogen hinter sich herzog.
Abgesehen von ihren geröteten Augen sah sie unverletzt aus. Und trotz des Knebels und der Fesseln stand sie hocherhobenen Hauptes und so voller Würde da, dass Fielding sie nur noch mehr bewunderte.
Seine Erleichterung war so groß, dass er fast die Pistole fallen ließ. Aber er konnte sich nicht erlauben, auch nur eine Sekunde lang die Kontrolle zu verlieren. Als Erstes musste er Esme aus dieser Hütte bringen. »Bind sie los«, befahl er.
Der Rabe tat, was er verlangte.
»Fielding!«, sagte Esme.
Er streckte die Hand nach ihr aus. »Komm zu mir, Esme.«
Das musste er ihr nicht zweimal sagen. Keine Sekunde später war sie an seiner Seite, ihr Fliederduft umhüllte ihn, und er schickte ein stummes Dankgebet zum Himmel, dass ihr nichts zugestoßen war.
Er stellte sich vor Esme und erst, als er sie in Sicherheit wusste, wandte er sich wieder an den Raben. »Hier - fang auf«, sagte er und warf ihm die Tasche mit der Büchse der Pandora zu.
Sobald sie die Straße hinunterfuhren, zog Fielding Esme an sich.
»Du hast mir Angst gemacht«, flüsterte er.
»Ich hatte auch große Angst«, erwiderte sie mit einem schwachen Lächeln. »Anfangs noch nicht, weil ich da noch glaubte, er würde mir nichts antun.« Ein Ausdruck tiefsten Entsetzens trat in ihre Augen. »Aber dann wurde er so wütend auf Thatcher, dass er das Schwert von der Wand riss und-« sie konnte nicht weitersprechen und schluckte heftig-, »und Thatcher die Hand abschlug.« Sie schmiegte sich noch fester an Fielding. »Doch der Armreif ließ sich immer noch nicht abstreifen, und da hat er Thatcher einfach umgebracht.«
»Ich fürchte, der Rabe hat den Verstand verloren«, sagte Fielding.
»Und ich glaube, dass er etwas gegen Ihre Majestät im Schilde führt«, sagte Esme.
»Gegen die Königin? Dann muss er vollkommen verrückt sein. Man wird ihn töten, wenn er auch nur versucht, in ihre Nähe zu gelangen«, meinte Fielding.
»Fielding, dieser Mann ist wahnsinnig.« Esme schüttelte den Kopf. »Der Armreif, den Thatcher trug, ist mit dem Fluch der Gier behaftet. Du hättest den Raben sehen sollen. Er war vollkommen außer Kontrolle. Ich bin ihm vorher nur einmal begegnet, und an jenem Abend in der Kutsche war er sehr ruhig und beherrscht, fast
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