Zauberhafte Versuchung
und dann zur nächsten weiterblätterte. Wieder und wieder und ohne etwas zu finden. »Wir müssen heute Abend nicht das ganze Buch lesen, Esme.«
Sie tat seinen Einwand mit einer Handbewegung ab. »Das Journal nahm eindeutig Bezug auf dieses Tagebuch«, erklärte sie und blätterte eine weitere Seite um. »Und Mr. Nichols wusste auch davon.« Noch eine Seite. »Aber wo steht das, was wir suchen?«
»Esme, geh zu Bett. Wir können morgen früh weitermachen.«
Sie schüttelte das Buch, legte die Hand auf die Seite, an der es sich von selbst öffnete und überflog diese rasch. »Nichts.«
»Esme«, versuchte Fielding es erneut.
Aber ihr Zeigefinger lag schon wieder auf einer anderen Seite, folgte dem Text bis ans Ende und bewegte sich dann zum Beginn der nächsten Seite weiter. Plötzlich richtete sie sich auf und sah Fielding triumphierend an. »Ich glaube, jetzt habe ich doch etwas gefunden.«
»Na endlich.« Er verließ seinen Platz am Kamin und ging zu ihr.
»›Die Verfluchungen legen sich als goldene Reifen um die Arme derer, die kühn genug waren, die Schatulle aufzubrechen‹«, las sie vor und schaute zu Fielding auf. »Der griechische Text war anscheinend korrekt, was das angeht.«
»Offensichtlich.«
Sie krauste die Stirn. »›Bis alle, die die verfluchten Reifen tragen, vor der Schatulle versammelt sind, lassen sie sich nicht entfernen. Werden die Armreifen nicht bis zurzeit der Mondfinsternis in die Schatulle zurückgelegt, werden die an sie Geketteten unweigerlich des Todes sein‹.« Esme legte die Hand auf die Textstelle und sah Fielding beunruhigt an. »Mein Leben ist also noch immer in Gefahr.«
Fielding zog sich einen Stuhl heran und setzte sich ihr gegenüber. »Du wirst nicht sterben, Esme, dafür werde ich sorgen.«
Sie lachte unsicher. »Irgendwie kann ich nicht glauben, dass du einen uralten Fluch daran hindern könntest, seinen Tribut zu fordern.«
Fielding erwiderte ihren Blick und schwieg. Vielleicht begann Esme nun endlich zu verstehen, dass er kein Held war.
»Was ist mit den Männern des Raben? Sollten wir sie nicht ausfindig machen und versuchen, sie zu warnen? Glaubst du, sie lassen mit sich reden?«, fragte sie.
»Das weiß ich nicht. Thatcher ist noch nie besonders vernünftig gewesen. Aber eines weiß ich genau: Dem Raben liegt nicht viel an seinen Leuten, und er wird nicht zögern, sie als seine Werkzeuge zu benutzen.«
»Sie würden doch bestimmt Vernunft annehmen, wenn wir ihnen den Ernst des Fluchs erklären.«
Fielding fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Diese Männer sind skrupellos, Esme. Sie können gnadenlos und sehr gefährlich sein, und man kann sie gar nicht ernst genug nehmen. Und sie haben keine Angst vor irgendwelchen Verfluchungen. Oder vor dem Tod. Vor allem aber sind sie dem Raben treu ergeben und würden ohne Zögern alles für ihn tun.«
»Aber du hast gesagt, bei Waters könnte man davon ausgehen, dass er den Raben fürchtet«, entgegnete sie.
»Ja, aber Furcht und Loyalität gehen oftmals Hand in Hand.«
»Du vergisst die Armbänder, die sie tragen.« Sie strich mit der Fingerspitze über den Goldreif, der schimmerte und glänzte, wenn sie ihre Hand bewegte. »Die starke Wirkung, die sie haben. Und dass sie einen dazu bringen können, Dinge zu tun, die man später nur bereut.« Esme sah Fielding in die Augen, als sie sprach.
Er wusste, dass er nichts Besseres verdiente, aber trotzdem schmerzte das, was sie sagte. Er hatte sich die größte Mühe gegeben, ihr zu beweisen, dass er nicht der Held war, für den sie ihn gehalten hatte. Und seine Bemühungen schienen sich bezahlt zu machen, da sie offensichtlich wünschte, ihm nie erlaubt zu haben, sie zu berühren.
»Wo könnten wir diesen Waters finden?«, fragte sie.
»Wir?« Fielding lachte und schüttelte den Kopf. »Oh nein«, sagte er, wandte sich ab und ging zum Fenster.
»Oh nein was? Wenn du glaubst, du könntest mich ausschließen, dann irrst du dich.«
»Verdammt, Esme, darüber werde ich nicht mit dir diskutieren.« Er wandte sich zu ihr um. »Die Orte, die ich aufsuchen muss, um Waters zu finden, sind für eine Dame nicht geeignet. Für eine Frau ist es in diesen Teilen der Stadt zu gefährlich.«
»Fielding, ich werde in weniger als einer Woche sterben, wenn ich nichts unternehme! Ich nehme deinen Einwand zwar zur Kenntnis, doch angesichts meiner prekären Situation ist er nicht sehr überzeugend.« Sie ging langsam zu ihm und lächelte ihn an. »Ich werde doch dich an
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