Zauberhafte Versuchung
die ganze Geschichte. Ich war überrascht zu hören, dass auch sie in gewisser Weise von ihrer Familie verstoßen worden war. Und darum legten wir unser Geld zusammen, kauften unser Haus und leben seitdem dort zusammen.«
»Du hast also allein gelebt, seit du kaum mehr als ein Kind warst.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, in der ein Anflug von Respekt als auch Mitleid mitklangen.
Doch Esme wollte Fieldings Mitleid nicht. »Aber ich bin ziemlich gut zurechtgekommen, oder nicht?«
»Ja, das bist du«, stimmte er ihr zu. »Dann ist Thea also gar nicht wirklich deine Tante?«
»Sie ist die einzige Familie, die ich habe.«
»Bist du nicht wütend auf deine Schwester?«, fragte er, und sein Tonfall ließ erkennen, dass er es Esmes wegen war.
Sie konnte ihn nicht belügen. »Natürlich bin ich das. Ich finde, dass meine Schwester die selbstsüchtigste Kreatur ganz Londons ist. Aber ich genieße mein Leben, meine Freiheit. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, nicht um die Möglichkeiten zu trauern, die ich niemals hatte. Das Tanzen und das Umworbenwerden. Die Chancen, die ich gehabt hätte, jemandes Frau zu werden.« Sie schwieg einen Moment. »Aber ich kann nicht den anderen die Schuld an allem geben. Es war mein Fehler, mein Skandal. Und wäre es nicht an jenem Abend geschehen, dann vermutlich an irgendeinem anderen. Du hast selbst gesagt, dass ich meine Ansichten nicht für mich behalten kann.« Sie zupfte ein Fädchen vom Bettlaken. »Ich glaube nicht, dass ich mit der vornehmen Gesellschaft je zurechtgekommen wäre; diese Leute mögen keine Frauen, die sagen, was sie denken.«
»Das mag durchaus so sein, trotzdem hätte man dir eine Chance geben sollen. Es gibt Männer, die bewundern Frauen, die ihre eigene Meinung haben.«
Esme ignorierte den Hüpfer, den ihr Herz machte. Fielding hatte nur gesagt »es gibt Männer«, und das bedeutete noch lange nicht, dass er dazugehörte.
»Du und deine Schwester seht euch ähnlich, aber eure Gemeinsamkeiten sind gering.«
Abrupt setzte sich Esme auf. »Elena und ich? Woher weißt du das?«
»Ich habe sie und ihren Mann besucht.«
»Wann?«
»Kurz nachdem wir uns hier bei Max einquartiert hatten.« Fielding lächelte. »Wie es aussieht, hast du eine Nichte, die ihrer Tante Esme ziemlich ähnlich ist und ihre Eltern ganz schön durcheinanderbringt.«
Esme schüttelte den Kopf. »Warum? Wieso hast du sie aufgesucht?«
Fielding zuckte mit den Schultern. »Weil ich sie wissen lassen wollte, dass du wohlauf bist.«
Abrupt stand Esme auf und streifte sich ihr Hemd über. Eines nach dem anderen sammelte sie ihre Kleidungsstücke auf. Als sie alle beisammen hatte, drehte sie sich zu Fielding um. »Du hattest kein Recht dazu.« Nun würden sie alles wissen, all den Ärger, den sie verursacht hatte. Wie demütigend das war.
»Esme ...«
Aber sie wollte nicht wissen, was er zu sagen hatte, und verließ das Zimmer.
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17. Kapitel
E sme wartete, bis sie hörte, dass Thea wach war. Sie klopfte an die Zimmertür der Freundin und trat ein. Thea saß im Bett und wirkte noch ein wenig verschlafen, während sie mit Horace sprach.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, du wiegst eine halbe Tonne«, sagte sie, worauf der Kater den Kopf schief legte, um sich hinter den Ohren kraulen zu lassen. »Aber du wärmst mir die Beine, deshalb erlaube ich dir zu bleiben.«
»Guten Morgen«, sagte Esme von der Tür her.
Thea lächelte erfreut. »Guten Morgen, meine Liebe. Du bist aber früh auf.«
In Wahrheit hatte Esme so gut wie kein Auge zugetan. Irgendwann nach drei war sie in ihr Zimmer zurückgegangen und hatte keinen Schlaf finden können. Wenn sie ehrlich war, wusste sie nicht einmal, warum sie so wütend gewesen war. Ihr gefiel zwar nicht, dass Fielding etwas hinter ihrem Rücken getan hatte, aber ihr war auch bewusst, dass ihre Empörung nicht wirklich ihm galt.
Eigentlich war es mehr ein Gefühl der Erniedrigung als Wut gewesen, was sie empfunden hatte. Bei dem Gedanken, dass Elena und Raymond jetzt von der Entführung wussten, zog sich Esme der Magen zusammen. Die beiden dachten ohnehin schon das Schlimmste von ihr, und es hatte wirklich nicht nötig getan, ihnen noch mehr Grund für ihre Kritik an Esme zu geben.
Doch im Moment gab es anderes, worüber sie nachdenken musste, gab es Dringenderes als das zu klären. »Ich wollte mit dir reden«, sagte sie zu Thea. »Ich
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