Zauberkusse
Körper neben mir zu spüren. Ein Blick auf den Radiowecker zeigt mir, dass es bereits nach zehn Uhr ist. Wo bleibt er denn nur? Aber er kommt nicht, auch am folgenden Tag warte ich vergeblich. Bei seinem Handy geht nur die Mobilbox dran und ich bin allmählich ganz krank vor Angst, es könne etwas geschehen sein, bis mir Loretta schließlich mit einem einzigen Satz alle Sorgen nimmt:
»Das Wochenende gehört der Ehefrau und die Woche der Geliebten.«
Geliebte? Wer? Ich etwa? So war das aber nicht gedacht. Zum wiederholten Male verfluche ich meine eigene Dummheit. Wieso musste ich unbedingt nach Halstenbek fahren? Wieso konnte Loretta mich nicht aufhalten? Wieso war die Gartentüre offen? Warum, warum, warum? Wenn diese unsägliche Sache nicht passiert wäre, dann hätte Gregor sich längst von seiner Frau getrennt. Wir wären zusammen. Glücklich, und das nicht nur Montag bis Freitag innerhalb der Bürozeiten. An diesem Wochenende fasse ich einen Entschluss: Ich will keine Geliebte sein. Ich muss eben das Risiko eingehen, dass Anna mich im Nachhinein doch noch anzeigt, aber vielleicht kommt sie ja gar nicht auf die Idee. Von dieser Sechsmonatsfrist habe ich jedenfalls vor meinem Gespräch mit Loretta noch nie etwas gehört. Gleich morgen früh werde ich Gregor grünes Licht geben.
»Ich kann mich nicht trennen, zumindest nicht jetzt.« Ich glaube, meinen Ohren nicht zu trauen.
»Wie bitte?«, frage ich fassungslos. »Aber warum denn nicht.«
»Es ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Ich muss auf den richtigen Zeitpunkt warten«, beharrt er, woraufhin ich höhnisch auflache:
»Glaubst du allen Ernstes, dass es dafür einen richtigen Zeitpunkt gibt? Eine Trennung tut doch immer weh.«
»Trotzdem.« Was für ein Sturkopf! In meinem Inneren beginnt es zu kochen, aber ich beherrsche mich und sage ganz ruhig:
»Wenn du wirklich glaubst, auf den richtigen Zeitpunkt warten zu müssen, dann ist das wohl so.« Er nickt und ein erleichtertes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Ein bisschen vorschnell. »Allerdings«, fahre ich mit erhobener Stimme fort, »möchte ich dich erst wieder sehen, wenn du ein freier Mann bist.« Ich knie mich vor ihn und schaue ihm in die Augen: »Ich liebe dich, aber so geht es einfach nicht. Ich gehe kaputt an der ganzen Sache, verstehst du? Ich will dich nicht sehen, solange du dich nicht von ihr getrennt hast. Das verstehst du doch, oder?« Damit erhebe ich mich vom Sofa und mache einen Schritt in Richtung Flur. Ein Blick zurück zeigt jedoch, dass Gregor nicht die geringsten Anstalten macht, mir zu folgen. Stattdessen sitzt er einfach da und schaut mich mit offenem Mund an. »Wenn ich dich bitten dürfte, zu gehen?«, frage ich höflich und mache eine Handbewegung in Richtung Tür.
»Du wirfst mich raus?« Er rührt sich noch immer nicht vom Fleck.
»Ich werfe dich nicht raus, ich möchte dich nur erst wieder sehen, wenn du getrennt und für mich frei bist.«
»Also wirfst du mich tatsächlich aus deiner Wohnung«, wiederholt er wütend, springt auf und schnappt sich seine Jeansjacke von der Garderobe.
»Jetzt verdreh doch nicht alles«, bitte ich ihn, aber da liegt seine Hand schon auf der Türklinke.
»Ich habe dich verstanden«, schneidet er mir brüsk das Wort ab und verlässt meine Wohnung. Ich stürze hinter ihm her und sehe, über das Geländer gebeugt, zu, wie er immer zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinunterjagt.
»Gregor«, rufe ich ihm verzweifelt hinterher, »bleib stehen. Bitte. Ich liebe dich.« Meine Worte klingen gellend durch das Treppenhaus, doch als Antwort schallt nur das Zuschlagen der Haustür zu mir hinauf. Erschöpft lehne ich mich gegen meinen Türrahmen, als sich die Klinke der gegenüberliegenden Wohnungstür bewegt und meine neugierige Nachbarin Frau Saalberg, eine Mittvierzigerin mit dünnem, mausbraunem Haar, ihren Kopf herausstreckt. Manchmal denke ich, sie lauert den ganzen Tag hinter ihrer Tür, um ihre spitze Nase in Dinge zu stecken, die sie nichts angehen. Fluchtartig verschwinde ich in meiner Wohnung.
In den nächsten Tagen höre und sehe ich nichts von Gregor. Dafür aber von seiner Frau, die mir eine detaillierte Rechnung über die entstandenen Schäden schickt, deren Endsumme mich nach Luft schnappen lässt: Siebentausendneunhundertundsechsundneunzig Euro. Mein lieber Mann, dafür muss eine Kellnerin aber lange Gläser durch die Gegend schleppen. Leider kann ich meinen Stolz nicht überwinden und Gregor
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