Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
es gab reichlich Nahrung, und sie wuchsen schnell. Vielleicht, dachte Shreeva abgelenkt, ist das alles, was die anderen gesucht haben. Vielleicht glaubten sie, dass dieses faule Leben aus Fressen und Häuten die Wiedergeburt war. Sie glaubte es nicht.
Sie wusste, dass Maulkin weit mehr suchte. Der Rest des Knäuels war kurzsichtig, weil sie Maulkins Sorge und seinen Kummer nicht wahrnahmen. Er hatte sie nach Norden geführt und war dem Schatten des Versorgers gefolgt. Mehrmals hatte er an den warmen Strömungen der Nicht-Großen-Wasser Halt gemacht und die merkwürdige Atmosphäre gekostet. Die anderen hatten immer nur eilig dem Versorger folgen wollen.
Einmal hatte Sessurea sie erschreckt, als er seinen Kamm aufstellte und ihr Verhalten in Frage stellte. Er wollte sie in ihrer dummen Folgsamkeit aufhalten. Doch Momente später hatte Maulkin sein Maul verwundert geschlossen und die Wärme strömen lassen. Erneut nahm er seinen Platz im Schatten des Versorgers ein.
Shreeva war nicht übermäßig besorgt gewesen, als der Versorger angehalten hatte und Maulkin zufrieden schien, in seiner Nähe zu bleiben. Wer war sie, dass sie die Erinnerungen der Alten hätte in Frage stellen dürfen? Aber als der Versorger nach Süden weitergesegelt war und Maulkin ihm wieder folgte, war sie unruhig geworden. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte.
Sessurea schien ihr Unbehagen zu teilen.
Sie erblickten andere Knäuel, die anderen Versorgern folgten.
Alle wirkten zufrieden und wohlgenährt. Zu solchen Zeiten fragte sich Shreeva, ob der Fehler vielleicht bei ihr lag. Vielleicht hatte sie zuviel geträumt, vielleicht hatte sie die Heilige Weissagung zu wörtlich genommen. Aber dann bemerkte sie, wie abgelenkt Maulkin war, selbst während des Fressens.
Während die anderen schnappten und schlangen, hörte er plötzlich auf und erstarrte mitten in der Bewegung. Sein Maul klaffte weit auf, und seine Kiemen pumpten, während er einem flüchtigen Duft nachspürte.
Und oft, wenn der Versorger anhielt und der Rest des Knäuels ruhte, erhob sich Maulkin, stieg fast hinauf bis zur Leere, und begann mit verschleierten Augen einen komplizierten Tanz. Dabei beobachtete Sessurea ihn beinahe genauso scharf, wie Shreeva es tat. Immer und immer wieder verknotete ihr Führer seinen Körper und glitt durch die Schlinge. Damit sensibilisierte er seine Haut für alles, was die Atmosphäre ihm verraten konnte. Er trompetete leise und abgehackt. Es waren unsinnige Fetzen mit Bruchstücken der Heiligen Weissagung. Manchmal hob er auch den Kopf aus der Fülle in die Leere und ließ sich wieder sinken. Er murmelte immer wieder von den Lichtern, den Lichtern.
Shreeva konnte es nicht länger ertragen. Sie ließ ihn tanzen, bis die Erschöpfung seine falschen Augen matt werden ließ.
Aufgrund der Ermüdung sank er langsam zum Grund des Bodens. Mit schlaffem Kamm und demütig näherte sie sich ihm und sank mit ihm zusammen hinab. »Maulkin«, stieß sie leise hervor. »Hat deine Vision dich verlassen? Haben wir uns verirrt?«
Er hob den Schleier von seinen Augen und starrte sie an.
Beinahe träge umschlang er sie mit einem Knoten und zog sie mit sich zu dem Knäuel in den weichen Schlamm. »Es ist nicht nur der Ort«, sagte er beinahe träumerisch. »Es ist auch die Zeit.
Und nicht nur die Zeit und der Ort, sondern auch ein Knäuel.
Ein Knäuel, wie es sich seit uralten Zeiten nicht mehr versammelt hat. Ich kann beinah eine wahrnehmen, ›Eine, Die Sich Erinnert‹.«
Shreeva erbebte am ganzen Körper und versuchte, seine Erinnerung zu lesen. »Maulkin. Bist du denn nicht ›Einer, Der Sich Erinnert‹?«
»Ich?«
Seine Augen verschleierten sich wieder. »Nein. Nicht ganz. Ich kann mich fast erinnern. Ich weiß, dass es einen Ort gibt und eine Zeit und ein Knäuel. Wenn ich ihnen begegne, werde ich es ohne jeden Zweifel wissen. Wir sind ihnen nah, Shreeva, sehr, sehr nah. Wir müssen sie verfolgen und dürfen nicht zweifeln. So oft ist die Zeit gekommen und vergangen, und wir haben sie verpasst. Wenn wir den Moment diesmal wieder verpassen, fürchte ich, werden all unsere Erinnerungen an die alten Zeiten verblassen, und wir werden niemals werden, was wir einmal waren.«
»Und was waren wir?«, fragte sie. Sie wollte einfach nur, dass er es noch einmal bestätigte.
»Wir waren die Herren, bewegten uns frei durch die Leere und die Fülle. Und einer wusste, jeder wusste, und alle teilten die Erinnerungen an alle Zeiten von Anfang an. Wir waren
Weitere Kostenlose Bücher