Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
»Caolwn mag Tee.«
Dann tat ihre Mutter etwas sehr Ungewöhnliches. Sie ging zur Innentür der Küche, riss sie auf, trat rasch hinaus und spähte in den Flur, als erwartete sie, jemanden zu sehen.
Als sie wieder in die Küche trat, fragte Keffria: »Ist Seiden wieder aufgestanden? Er ist wirklich eine kleine Nachteule!«
»Nein, es war niemand da«, erwiderte ihre Mutter geistesabwesend. Dann schloss sie die Tür und trat wieder an den Tisch. »Erinnerst du dich noch an das Begrüßungsritual?«, fragte sie Keffria.
»Natürlich. Keine Angst, ich mache dir keine Schande.«
»Du hast mir noch nie Schande gemacht«, erwiderte Ronica.
Keffria wusste nicht genau, warum ihr Herz bei den Worten ihrer Mutter einen Satz machte.
Dann klopfte es an der Tür, und Ronica machte sie auf. Keffria trat hinter sie. Draußen standen zwei verhüllte Gestalten. Sie trugen Umhänge und Kapuzen. Der Gesichtsschleier der einen war mit roten Flammenjuwelen besetzt. Es war ein sowohl unheimlicher als auch wunderschöner Anblick. Jani Khuprus.
Keffria spürte, wie sich ihr Magen angstvoll zusammenzog. Die Traumdose. Einen Augenblick war sie benommen vor Bestürzung. Keffria wartete verzweifelt darauf, dass ihre Mutter etwas sagte und sie alle irgendwie rettete. Aber Ronica stand still und schockiert da, ohne die Gäste zu begrüßen. Keffria holte Luft und betete, dass sie es richtig machte. »Ich entbiete Euch mein Willkommen in unserem Heim. Tretet ein und fühlt Euch ebenfalls wie zu Hause.«
Sie traten beide zurück, damit die Regenwildhändler hereinkommen konnten. Keffria riss sich zusammen, als die Frauen ihre Handschuhe, Kapuzen und Schleier ablegten. Die violetten Augen der einen Frau verschwanden fast unter den wuchernden Gewächsen auf ihren Augenlidern. Es fiel Keffria schwer, ihren Blick zu erwidern und höflich zu lächeln, aber sie schaffte es. Jani Khuprus dagegen hatte für eine Regenwildfrau eine überraschend glatte Gesichtshaut. Sie hätte vielleicht selbst bei Tageslicht in Bingtown durch die Straße gehen können, ohne angestarrt zu werden. Ihre Zeichen waren viel subtiler.
Eine Reihe von kleinen Geschwüren erstreckte sich über den Rand ihrer Lippen und Augenlider. Das Weiße ihrer Augen glühte bläulich in dem dämmrigen Zimmer, genau wie ihr Haar, ihre Zähne und ihre Nägel. Es war auf eine unheimliche Art und Weise geradezu attraktiv. Ronica schwieg immer noch, als wäre sie in einem Traum gefangen. Also sprach Keffria die formellen Worte. »Wir haben Erfrischungen für Euch vorbereitet, nach Eurer langen Reise. Möchtet Ihr Euch an unseren Tisch setzen?«
»Wir wären höchst dankbar«, erwiderten sie beinahe unisono.
Alle Frauen knicksten voreinander. Erneut musste Keffria das Schweigen ihrer Mutter brechen. »Ich, Keffria Vestrit von der Vestrit-Sippe der Bingtown-Händler, heiße Euch an unserem Tisch und in unserem Haus willkommen. Ich erinnere mich an all unsere uralten Versprechen von Bingtown an die Regenwildnis, und auch an unsere private Vereinbarung, die das Lebensschiff Viviace betrifft, das Produkt unserer beiden Familien.«
»Ich, Caolwn Festrew von der Festrew-Sippe der Regenwildnishändler, akzeptiere Eure Gastfreundschaft von Heim und Tisch. Ich erinnere mich an all unsere uralten Versprechen, Regenwildnis an Bingtown, und auch an unsere private Vereinbarung, die das Lebensschiff Viviace angeht, das Produkt unserer beiden Familien.«
Die Sprecherin hielt inne und deutete plötzlich auf die Frau neben sich. »Ich bringe meinen Gast an Euren Tisch und in Euer Heim, der danach Euer Gast sein wird. Könnt Ihr Euer Willkommen auch auf Jani Khuprus, unsere Blutsverwandte, ausdehnen?«
Sie sah Keffria an. Also musste sie antworten.
»Ich kenne die formelle Antwort auf eine solche Bitte nicht«, gab sie offen zu. »Also sage ich einfach das: Jeder Gast unserer langjährigen Freundin Caolwn ist mehr als willkommen in unserem Haus. Gebt mir nur einen Moment, damit ich einen Teller und zusätzliches Besteck auflege.«
Sie hoffte inständig, dass eine solch hochstehende Persönlichkeit wie die Chefin des Khuprus-Clans von ihrer informellen Art nicht vor den Kopf gestoßen war, Jani lächelte und sah Caolwn an, als erbitte sie ihre Erlaubnis, sprechen zu dürfen. Caolwn lächelte ihr kurz zu.
»Ich bin genauso froh, die Formalitäten beiseite lassen zu dürfen. Doch zunächst möchte ich sagen, dass dieser unerwartete Besuch auf mein Drängen hin zustande gekommen ist. Ich habe Caolwn
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