Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
Willen. Ich bin das, wozu deine Familie mich gemacht hat. Du hast eben noch von Entscheidungsfreiheit gesprochen und erklärt, dass du keine mehr hast. Ich hatte diese Freiheit noch nie. Ich bin viel eher eine Sklavin als du, trotz des Mals auf deinem Gesicht.«
Wintrow stieß ein ungläubiges Schnauben aus. Seine Wut stand ihrer in nichts nach. »Du bist eine Sklavin? Zeig mir die Tätowierung auf deinem Gesicht, die Handschellen an deinen Gelenken! Du kannst leicht solche Worte im Mund führen!
Viviace, ich spiele dir hier kein Theater vor. Dieses Mal auf meinem Gesicht werde ich mein Leben lang tragen!«
Er zwang sich, diese bitteren Worte auszusprechen. »Ich bin ein Sklave!«
»Ach wirklich?«
Ihre Stimme klang hart. »Früher hast du noch gesagt, du wärst ein Priester, und dass niemand dir das nehmen könnte. Aber das war natürlich, bevor du weggelaufen bist. Seit man dich wieder zurückgeschleppt hat, hast du mir etwas ganz anderes gezeigt. Ich hätte gedacht, dass du mehr Courage aufbringen würdest, Wintrow Vestrit. Mehr Entschlossenheit, dein Leben selbst zu bestimmen.«
Sein Ärger über ihre Worte überwältigte ihn. Er richtete sich auf und warf ihr über die Schulter einen zornigen Blick zu. »Was verstehst du schon von Courage, Schiff? Was weißt du von Dingen, die wahrhaft menschlich sind? Was kann entwürdigender sein, als sämtlicher Entscheidungsfreiheit enthoben zu werden, sich anhören zu müssen, dass du ein ›Ding‹ bist, das jemandem ›gehört‹? Dass du nicht mehr länger bestimmen kannst, wohin du gehst oder was du tun willst? Wie soll man Würde, Glauben und Vertrauen an ein Morgen behalten? Du redest von Courage…«
»Was ich von Courage weiß? Was ich von solchen Dingen verstehe?«
Sie sah ihn mit einem Blick an, der kaum auszuhalten war. »Wann hätte ich jemals etwas anderes erfahren dürfen, als ein ›Ding‹ zu sein, ein ›Besitztum‹?«
Ihre Augen glühten.
»Wie kannst du es wagen, mir so etwas vorzuwerfen?«
Wintrow starrte sie an. Einen Augenblick war er bestürzt und versuchte dann, sich wieder zu fassen. »Das ist nicht dasselbe!
Für mich ist es viel schwieriger. Ich bin als Mensch geboren und…«
»Schweig!«
Das Wort traf ihn wie ein Schlag. »Ich habe niemals mein Zeichen auf dein Gesicht gebrannt, aber deine Familie hat drei Generationen lang ihr Zeichen in meine Seele gebrannt. Ja, Seele! Denk nur, dieses ›Ding‹ wagt zu behaupten, es habe eine Seele!«
Sie betrachtete ihn von Kopf bis Fuß, während sie sprach, und hielt plötzlich inne. Ein merkwürdiger Ausdruck flog über ihr Gesicht, und er hatte das Gefühl, als sehe ihn eine Fremde an.
»Wir streiten«, bemerkte sie verwundert. »Wir sind entzweit.«
Sie nickte, als freue sie das. »Wenn ich mit dir verschiedener Meinung sein kann, dann bin ich nicht du.«
»Natürlich nicht.«
Einen Augenblick verwirrte ihn diese Feststellung von etwas so Offenkundigem. Dann jedoch gewann seine Verärgerung wieder die Oberhand. »Ich bin nicht du, und du bist nicht ich. Wir sind getrennte Wesen, mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Wünschen. Wenn du das noch nicht bemerkt hast, dann wird es Zeit. Du musst du selbst werden, Viviace, und deine eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Gedanken entdecken. Hast du dir jemals überlegt, was du dir noch wünschst, außer mich zu besitzen?«
Es schockierte ihn, als sie sich urplötzlich von ihm loslöste. Sie sah zur Seite, aber das war nicht alles. Er schnappte nach Luft, als habe man ihn plötzlich mit einem Eimer kaltes Wassers übergossen, und ihm lief ein Schauer über den Rücken, dem ein plötzlicher Schwindel folgte. Wenn er nicht schon gesessen hätte, wäre er vermutlich gestürzt. Er schlang seine Arme um sich, als sich der Wind plötzlich kälter auf seiner Haut anfühlte.
Verwundert gab er zu: »Ich habe nicht bemerkt, wie sehr ich darum gekämpft habe, mich von dir zu lösen.«
»Ach wirklich?«
Sie klang beinahe freundlich. Ihre Wut schien verraucht. Oder doch nicht? Er konnte nicht mehr fühlen, was sie empfand. Er stand an der Reling und versuchte, ihre Gefühle anhand ihrer Haltung zu erkennen. Sie würdigte ihn keines Blickes.
»Es ist besser, wenn wir getrennt sind«, stellte sie fest. Es klang endgültig.
»Aber…«
Er stotterte, als er die nächste Frage stellte. »Ich dachte, ein Zauberschiff braucht immer einen Partner, jemanden aus der eigenen Familie.«
»Das hat dich aber nicht aufhalten können, als du mich im Stich
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