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Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen

Titel: Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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als schnell. Ein sauberer Schnitt…«
    Zwischen den Sätzen holte Wintrow Luft. Seine Stimme zitterte nicht, genauso wenig wie seine Hand, mit der er auf das zeigte, was einmal sein Zeigefinger gewesen war. Eines Tages hätte dieser Finger vielleicht den Priesterring der Diener Sas getragen, wenn er ihn hätte behalten dürfen. Sa, dachte Wintrow, gib durch deine Gnade, dass ich nicht schreie. Und lass mich nicht ohnmächtig werden oder wegsehen. Wenn ich dies hier erdulden muss, dann lass es mich gut hinter mich bringen.
    Die Gedanken des Jungen waren so stark, dass Viviace unwillkürlich mit einstimmte. Er holte ein letztes Mal tief und beruhigend Luft, als Gantry ein Messer aussuchte und es hochhielt. Es war ein gutes Messer, sauber und scharf. Wintrow nickte langsam. Hinter ihm hörte man Milds Schritte und dann sein Flüstern. »Hier ist der Brandy, Sir.«
    Aber es schien von weither zu kommen, so schwach und unwichtig wie das Schreien der Seemöwen. Viviace merkte, was Wintrow tat. Mit jedem Atemzug wurden die Muskeln seines Körpers schlaffer. Er verschwand in sich selbst, wurde kleiner und schwächer, fast, als würde er sterben. Er wird ohnmächtig, dachte sie, und Mitleid wallte in ihr auf.
    Doch im nächsten Augenblick tat er etwas, das sie nicht verstand. Er verließ sich selbst. Er war zwar nicht aus seinem Körper verschwunden, aber in einer merkwürdigen Weise war er von ihm getrennt. Es war fast so, als habe er sich zu ihr gesellt, und betrachte durch ihre Augen den schlanken Jüngling, der auf dem Vordeck kniete. Sein Haar hatte sich aus dem Zopf gelöst. Ein paar Strähnen schwangen ihm um die Stirn, andere klebten verschwitzt an seinem Kopf. Aber der Blick seiner schwarzen Augen war ruhig und sein Mund entspannt, während er beobachtete, wie sich das glänzende Messer auf seine Hand senkte.
    Irgendwo brannten höllische Schmerzen, aber Wintrow und Viviace sahen zu, wie der Maat sich auf das Messer stützte, um es in das Fleisch des Jungen zu treiben. Leuchtendrotes Blut rann über die Planken. Sauberes Blut, dachte Wintrows Geist.
    Die Farbe ist gut, ein dunkles, sattes Rot. Aber er sagte kein Wort, und das Schlucken des Maats, als er weitermachte, und Kyles bebender Atemzug, als das Messer in das Gelenk glitt, waren gut zu hören. Gantry verstand sein Handwerk. Die schlanke Messerspitze fuhr in das Gelenk. Als sie es trennte, konnte Wintrow das Geräusch fühlen. Ein glühender Schmerz schoss von dem Fingerknochen seinen Arm hinauf bis in sein Gehirn.
    Ignoriere es! befahl er sich energisch. Mit einer Willensanstrengung, wie Viviace noch nie eine erlebt hatte, gelang es ihm, die Muskeln in seinem Arm entspannt zu lassen.
    Er zuckte nicht zusammen und auch nicht zurück. Sein einziges Zugeständnis an den Schmerz war, dass er mit der Linken das Handgelenk der Rechten fester packte, als könnte er so verhindern, dass der Schmerz seinen Arm hinaufstrahlte. Das Blut strömte jetzt ungehindert heraus und bildete zwischen Daumen und Mittelfinger eine Pfütze, die sich auf Viviaces Planken heiß anfühlte. Es sickerte in das Hexenholz, und sie sog es auf, genoss seine Wärme, den Geschmack nach Salz und Kupfer.
    Der Maat hielt sich an Wintrows Anweisungen. Es knirschte leise, als der letzte Knorpel unter dem Druck der Schneide getrennt wurde, und dann zog er das Messer vorsichtig über das Holz, um den Rest Haut zu zerteilen. Der Finger lag jetzt auf Deck, ein abgetrenntes Stück Fleisch. Wintrow nahm ihn mit der Linken hoch und legte ihn zur Seite. Mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand zog er die Haut über der Stelle zusammen, wo der Finger gewesen war.
    »Näht es zusammen«, sagte er dem Maat ruhig, während sein Blut aus der Wunde tropfte. »Nicht zu fest; nur so, dass die Haut zusammenhält, ohne dass der Faden hineinschneidet. Nehmt die kleinste Nadel und den feinsten Darm, den Ihr habt.«
    Wintrows Vater hustete und wandte sich ab. Er trat steif an die Reling und starrte auf die vorbeigleitenden Inseln, als würden sie ihn plötzlich ungeheuer faszinieren. Wintrow schien nicht darauf zu achten, aber Gantry warf seinem Kapitän einen kurzen Seitenblick zu. Dann presste er die Lippen zusammen, schluckte schwer und nahm die Nadel in die Hand. Der Junge hielt seine Haut zusammen, während der Maat sie vernähte und den Darmfaden verknotete. Wintrow legte seine blutige linke Hand flach auf das Deck und wappnete sich, als der Maat die Stelle bandagierte, an der der Finger gewesen war. Die ganze

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