Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
in dem etwas sie verletzte, begann der Fluss sie aufzulösen. Und sogar an den langen, dünnen Beinen der Vögel, die an den seichten Stellen fraßen, hatte Reyn Geschwüre gesehen. Nur das Hexenholz schien einen wirksamen Schutz gegen das milchige Wasser des Regenwild-Flusses zu bieten. Und der Khuprus-Clan besaß den letzten und größten Stamm.
Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er ihn dem Sonnenlicht ausgesetzt und abgewartet, was passieren würde. Der Stamm wäre vermutlich dabei zerstört worden. Auf einem verrotteten Stück Wandteppich war eine solche Szene dargestellt. Eine schlaffe weiße Kreatur hob ihren Kopf aus dem weichen Rest eines Baumstamms. Sie hielt Brocken davon in den Klauen, als wollte sie die Reste ihres Gefängnisses verzehren. Ihre Augen blickten wild, und die beinahe menschlichen Kreaturen, die es mit ansahen, schienen von Angst oder Ehrfurcht erfüllt zu sein. Manchmal, wenn Reyn den Teppich betrachtete, wusste er, dass es Wahnsinn wäre. Warum sollte man das Risiko eingehen, ein solch fürchterliches Wesen zu befreien?
Aber sie war die Letzte ihrer Art. Der letzte echte Drache.
Er ging wieder ins Bett, legte sich hin und versuchte, an etwas zu denken, was ihm Ruhe brachte, aber keinen Schlaf. Wenn er schlief, dann würde der Drache sich auf ihn stürzen und ihn wieder packen. Müde dachte er an Malta. Bei manchen Gelegenheiten erfüllten ihn Freude und Erwartung, wenn er an sie dachte. Sie war so entzückend, so temperamentvoll und so frisch. Ihre Launen waren für ihn Stärke, die sie noch nicht begriffen hatte. Er wusste, was ihre Familie von ihr hielt. Und das hatte seine Gründe. Sie war halsstarrig und egoistisch und nicht gerade wenig verwöhnt. Sie war die Art Frau, die sich mit aller Kraft verteidigen würde. Was sie auch begehrte, sie würde es zielstrebig verfolgen. Wenn er ihre Loyalität gewinnen könnte, wäre sie perfekt. Wie seine Mutter würde sie ihre Kinder beschützen und anleiten und Wohlstand und Macht für sie wahren, noch lange, nachdem Reyn im Grab lag. Andere würden sagen, dass seine Frau rücksichtslos und unmoralisch ihre Familie verteidigte. Aber sie würden es voller Neid sagen.
Falls er sie für sich gewinnen konnte. Das war der Haken. Als er Bingtown verlassen hatte, war er sich seines Sieges sicher gewesen. Doch sie hatte die Traumdose seitdem nicht benutzt, um mit ihm in Kontakt zu treten. Er hatte seitdem nur ein förmliches Schreiben von ihr erhalten. Das war alles. Er rollte sich untröstlich auf die Seite und schloss die Augen. Langsam sank er in den Schlaf und in einen Traum.
»Reyn, Reyn, Ihr müsst mir helfen.«
»Ich kann nicht«, stöhnte er.
Die Dunkelheit riss auf, und Malta kam auf ihn zu. Sie war ätherisch schön. Ihr weißes Nachthemd wehte in einem unweltlichen Wind. Ihr dunkles Haar flatterte in der Nacht, und ihre Augen waren voller Geheimnisse. Sie ging allein durch die vollkommene Dunkelheit. Er wusste, was das hieß. Sie war gekommen, ihn zu suchen. Sie hatte keine Bühne aufgebaut, keine Fantasie komponiert. Sie hatte sich hingelegt und nur von ihm geträumt.
»Reyn!«, rief sie erneut. »Reyn, wo seid Ihr? Ich brauche Euch.«
Er sammelte sich und trat dann in den Traum. »Ich bin hier.« Er sprach leise, damit er sie nicht erschreckte. Sie drehte sich zu ihm um und musterte ihn von Kopf bis Fuß.
»Das letzte Mal wart Ihr nicht verschleiert«, protestierte sie.
Er lächelte. Diesmal hatte er eine realistische Darstellung seiner selbst gewählt. Er trug nüchterne Kleidung, einen Schleier und Handschuhe. Vermutlich war das Nachthemd eben das, was sie in Wirklichkeit trug. Er erinnerte sich daran, wie jung sie noch war. Er würde sie nicht ausnutzen. Vielleicht verstand sie ja die Macht der Traumdose noch nicht ganz. »Letztes Mal habt Ihr viele eigene Ideen mit in den Traum gebracht. So wie ich. Wir haben sie vermischt und haben gelebt, was daraus entstanden ist. Heute bringen wir nur uns selbst mit. Und das, was wir wollen.«
Er hob den Arm und machte eine ausholende Gebärde in der Finsternis. Eine Landschaft tauchte auf. Es war einer seiner antiken Lieblingsgobelins. An vollkommen schwarzen, blattlosen Bäumen hingen strahlend gelbe Früchte. Ein silberner Pfad schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch und führte zu einer Festung in der Ferne. Der Waldboden war mit dichtem Moos bewachsen. Ein Fuchs mit einem Kaninchen im Maul beobachtete sie von einem Brombeerstrauch aus. Und im Vordergrund umarmte sich ein
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