Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
zu ihm. »Lasst Euch nicht anmerken, dass Ihr erschüttert seid.« Ungeachtet des Blutes riss sie die Tür der Kutsche auf. Der Kadaver des Schweins hing immer noch im Fenster. Es war ein räudiges Schwein. Ganz offensichtlich hatte niemand wertvolles Vieh für diese Aktion opfern wollen. Als es starb, hatte sein Schließmuskel nachgegeben. Der Gestank von Schweinekot drang aus der Kutsche. Althea rief sich ins Gedächtnis, dass Blut ihr nicht so fremd war. Sie hatte zu viel Gemetzel auf den Öden-Inseln erlebt, um sich von einem bisschen Schweineblut erschrecken zu lassen. Sie packte die Hinterläufe des Tieres, zog es mit einem kurzen Ruck aus dem Fenster und ließ es auf die Straße fallen. Dann blickte sie Davad an, der sie mit weit aufgerissenen Augen anglotzte. Blut und Kot hatten die Vorderseite ihrer Robe beschmutzt. Sie achtete nicht darauf.
»Könnt Ihr auf den Kutschbock klettern?«, fragte sie.
Er schüttelte benommen den Kopf.
»Dann müsst Ihr drinnen fahren. Der andere Sitz ist beinahe sauber. Nehmt mein Taschentuch. Es ist parfümiert.«
Davad sagte kein Wort. Er nahm das Taschentuch und kletterte schwerfällig in die Kutsche, wobei er die ganze Zeit Entsetzenslaute ausstieß. Er war kaum drinnen, als Althea auch schon die Tür hinter ihm zuschlug. Sie achtete nicht auf die Gaffer.
Stattdessen ging sie nach vorn zu den Pferden, redete beruhigend mit ihnen und kletterte dann auf den Kutschbock. Sie hatte seit Jahren nicht mehr kutschiert und schon gar nicht mit einem Gespann, das sie nicht kannte. Sie löste die Bremse und schüttelte hoffnungsvoll die Zügel. Die Pferde fielen in einen unsicheren Schritt.
»Vom Seemann zum Kutscher. Das ist das richtige Mädchen für Grag! Denkt nur an das viele Geld, das er sparen kann!«, schrie jemand in der Menge. Jemand anders lachte anerkennend. Althea sah geradeaus und hob das Kinn. Sie ermunterte die Pferde mit einem Schlag der Zügel, und sie fielen gehorsam in einen Trott. Hoffentlich kannten sie ihren Heimweg auch, wenn es dunkel war.
Ob sie selbst ihn noch kannte, wusste sie nicht mehr zu sagen.
19. Nachspiel
»Ihr seid zu Hause, Davad. Kommt heraus.«
Die Tür der Kutsche klemmte, aber Davad versuchte gar nicht, sie zu öffnen. In der Dunkelheit konnte Althea sein blasses Gesicht erkennen. Er kauerte in der Ecke der Sitzbank und hatte die Augen fest geschlossen. Sie stützte einen Fuß gegen die Karosse und riss die Tür auf. Dabei wäre sie beinahe hintenübergestürzt. Ihrer Robe jedenfalls hätte das nicht mehr geschadet. Sie stank nach Schweineblut, Kot und ihrem Schweiß. Die Heimfahrt war nervenzermürbend gewesen. Den ganzen Weg über hatte sie befürchtet, entweder die Kutsche in den Graben zu steuern oder von Davads Feinden ergriffen zu werden. Jetzt hatten sie zwar endlich seine Haustür erreicht, aber weder Verwalter noch Stallbursche kamen heraus, um ihren Herrn zu begrüßen. Einige Lichter brannten in den Fenstern seines Hauses, aber nach der »Begrüßung«, die man dem Hausherrn bereitete, hätte das Haus auch verlassen sein können. Eine einzelne Laterne brannte am Torpfosten.
»Wie heißt Euer Stallbursche?«, wollte Althea wütend wissen.
Davad starrte sie an. »Ich… ich weiß es nicht. Ich spreche niemals mit ihm.«
»Sehr schön.« Sie warf den Kopf zurück und benutzte ihre Erster-Maat-Stimme: »Junge! Komm raus, und kümmere dich um die Pferde. Hausverwalter! Dein Herr ist zu Hause!«
Jemand hob einen Vorhang und spähte hinaus. Sie hörte Schritte im Haus, und dann sah sie eine Bewegung in dem schattigen Hof. Sie drehte sich um. »Komm her und versorge die Pferde.«
Die schlanke Gestalt zögerte. »Sofort!«, bellte sie ihn an.
Der Junge, der ins Licht trat, zählte kaum mehr als elf Jahre. Er trat bis zu den Pferdeköpfen und blieb dann unsicher stehen.
Althea stöhnte wütend. »Ach, Davad, wenn Ihr es nicht lernt, mit Euren Dienstboten fertig zu werden, solltet Ihr Euch einen Verwalter suchen, der es kann.« Ihr Vorrat an Taktgefühl war erschöpft.
»Vermutlich habt Ihr Recht«, stimmte ihr Davad demütig zu. Er kletterte aus der Kutsche. Althea starrte ihn an. Auf der Fahrt von der Halle zu seinem Heim war Davad Restate zu einem alten Mann geworden. Sein Gesicht war eingefallen, und von der Anmaßung, die ihn immer ausgezeichnet hatte, war nichts mehr übrig geblieben. Es war ihm nicht ganz gelungen, dem Blut und dem Kot zu entgehen. Seine Kleidung war verschmiert. Angewidert und bestürzt hielt er die
Weitere Kostenlose Bücher