Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
War das nicht eure Heimat? Warum erlaubt ihr ihnen, dass sie euch von hier vertreiben? Baut die Stadt wieder auf, aber macht es diesmal richtig! Denkt an die Verteidigung, an den Handel, an sauberes Wasser. Die Hafenanlagen hätten niemals an dieser Stelle erbaut werden dürfen! Sie sollten von dort hinten aus ins Meer führen. Ihr habt den Lagerhäusern die beste Stelle gegeben. Baut dort lieber eure Häuser und Geschäfte hin und stellt die Warenhäuser auf Pfeilern dahinten auf, wo ein Schiff direkt vor ihren Toren anlegen kann. All das steht in Kennits Plänen; er hat das ganz deutlich vor Augen gehabt. Ich kann nicht glauben, dass ihr nicht selbst darauf kommt.«
Nur wenige Dinge gefallen einem Menschen so sehr wie die Aussicht auf einen Neubeginn. Kennit beobachtete die Leute, wie sie ihre Umgebung mit ganz neuen Augen sahen und sich dann gegenseitig anblickten. Und er bemerkte auch den gerissenen Ausdruck auf vielen Gesichtern. Hier gab es eine Chance, eine Gelegenheit, das sogar zu übertrumpfen, was sie verloren hatten. Diejenigen, die Neuankömmlinge oder arm gewesen waren, standen plötzlich auf gleicher Stufe mit den anderen. Kennit war sich sicher, dass die Besitzer der Schiffe in Ketten abtransportiert worden waren. Und sicher war jemand clever genug, Anspruch auf die Reste zu erheben.
Wintrow hob die Stimme wie ein Prophet, der Sas Wort verkündet. »Kennit ist ein guter Mann, der sich immer um euch gekümmert hat, selbst als ihr seine Angebote, euch zu helfen, höhnisch ausgeschlagen habt. Er hat euch dennoch immer nah an seinem Herzen getragen. Ich habe seine Motive zuerst angezweifelt. Ich habe ihn sogar gehasst. Aber ich kann euch das eine sagen: Ich habe in sein Herz gesehen, und auch ich glaube jetzt an das, woran er glaubt. Sa hat ihm sein Schicksal vorherbestimmt. Kennit wird König der Piraten-Inseln werden. Wollt ihr eine seiner Städte werden, oder wollt ihr einfach für alle Ewigkeit verschwinden?«
Kennit klingelten die Ohren. Er mochte einen Moment nicht glauben, was er da hörte. Doch dann erfasste sein Herz die Bedeutung. Der Junge war sein Prophet. Sa hatte ihm Wintrow gesandt, einen seiner eigenen Priester, um den anderen Menschen die Augen für seine, Kennits, Bestimmung zu öffnen. Das war es, was er empfunden hatte, als er den Jungen zum ersten Mal sah. Die Verbindung zwischen König und Prophet hatte sie miteinander verkettet. Es war kein primitiver Drang, einfach nur die Vergangenheit zu wiederholen, wie das Amulett gestichelt hatte. Wintrow war sein Prophet. Die Verkörperung seines Glücks.
Während sich das Wunder entfaltete, geschahen sogar noch merkwürdigere Dinge. Ein Mann trat vor. »Ich bleibe hier«, erklärte er. »Ich baue die Stadt auf. Als ich vor meinem Herrn aus Jamaillia-Stadt hierher geflohen bin, glaubte ich, ein freier Mann zu sein. Aber jetzt begreife ich, dass ich das nicht war. Der Junge hat Recht. Ich bin erst frei, wenn ich aufhöre, wegzulaufen und mich zu verstecken.«
Ein anderer befreiter Sklave trat neben ihn. »Ich bleibe auch hier. Ich kann nirgendwo hingehen, ich besitze nichts. Ich fange hier von vorn an.« Ein anderer aus der Gruppe trat zu ihm, und allmählich rückte die ganze Meute vor.
Kennit legte Wintrow seine schmutzige Hand auf die Schulter.
Wintrow wandte den Kopf und sah ihn an. Die Bewunderung im Blick des Jungen hatte den Piraten beinahe überwältigt. Einen Moment empfand er tatsächlich etwas, den Stich eines Gefühls, der so scharf war, dass er nicht wusste, ob es Schmerz oder Liebe war. Seine Kehle schien sich zuzuschnüren. Als er sprach, klangen seine Worte leise, und die Leute rückten noch näher, um ihn zu hören. Er fühlte sich beinahe wie ein heiliger Mann. Nein. Wie ein weiser und geliebter König. Er lächelte sein Volk an, »Ihr müsst es gemeinsam tun. Es kann nicht funktionieren, wenn jeder für sich selbst kämpft. Fangt mit dem Turm an, ja, aber errichtet an seinem Fuß eine Schutzhütte, in der ihr alle leben könnt, bis eure Heime wieder aufgebaut sind. Grabt nach Wasser, statt es aus den Sümpfen zu holen.« Er betrachtete die Gesichter der Menschen, die ihm zuhörten. Sie kamen zu ihm, wie verlorene, verwirrte Kinder. Jetzt endlich waren sie bereit, ihm zuzuhören. Er konnte ihr Leben für sie in Ordnung bringen. Sie würden es zulassen, dass er ihnen zeigte, wie sie leben sollten. Sein Herz schwoll an vor Triumph. Er drehte sich zu Etta um.
»Etta. Rudere zurück zur Viviace und geh in meine Kajüte.
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