Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
Gesichtszüge hatten den reptilienartigen Charakter verloren, den sie in letzter Zeit angenommen hatten. Sie sah zwar nicht genauso aus wie einst Viviace, aber sie war eindeutig nicht mehr Blitz. Beinahe wäre er vor ihr zurückgewichen.
»Ich bin auch hier. Ich will Althea Vestrit hier auf dem Vordeck. Ich will auch ihre Gefährtin Jek. Und ich will sie sofort hier sehen.«
Seine Gedanken überschlugen sich. »Ich fürchte, das geht nicht, Blitz«, sagte er. Er benutzte den Namen absichtlich und wartete auf ihre Antwort.
Das Schiff warf ihm den verächtlichsten Blick zu, den er jemals von einem weiblichen Gesicht hingenommen hatte. »Du weißt, dass ich nicht Blitz bin«, antwortete sie.
»Bist du dann Viviace?«, fragte er ernst.
»Ich bin ich selbst, und zwar gänzlich. Wenn du mich mit einem Namen ansprechen musst, dann nenn mich Viviace, denn dieser Teil gehört genauso wesentlich zu mir wie die Planken, aus denen ich gebaut bin. Aber ich habe dich nicht gerufen, um mit dir meinen Namen oder meine Identität zu diskutieren. Ich will, dass Althea und Jek hergebracht werden. Und zwar sofort!«
»Warum?«, konterte er. Seine Stimme war genauso kontrolliert wie ihre.
»Um sie selbst zu sehen. Und herauszufinden, ob sie schlecht behandelt worden sind.«
»Keine von ihnen wurde schlecht behandelt«, erklärte er beleidigt.
Die Lippen der Galionsfigur waren nur noch zwei dünne Striche. »Ich weiß, was du getan hast.«
Einen Augenblick schien um Kennit alles vollkommen still zu sein. Egal, wohin er sich wendete, es wartete Desaster auf ihn.
Hatte sein Glück ihn nun doch im Stich gelassen? Hatte er einen Fehler gemacht, der nicht mehr korrigierbar war? Er holte tief Luft. »Bist du so schnell bereit, etwas so Böses von mir anzunehmen?«
Viviace starrte ihn finster an. »Wie kannst du mich so etwas fragen?«
Sie war sich nicht absolut sicher. Er erkannte es an ihrer Antwort. Sie hatte ihn einmal gemocht, auf eine freundlichere, liebevollere Art als Blitz. Konnte er das wieder in ihr erwecken? Er strich beruhigend mit der Hand über die Reling.
»Weil du es weißt, zwar nicht mit deinen Augen, aber mit deinem Herzen. Althea glaubt, dass sie etwas Schreckliches erlebt hat, und deshalb glaubst du das auch.« Er machte eine dramatische Pause und senkte die Stimme. »Schiff, du kennst mich. Du warst in meinem Verstand. Du kennst mich, wie kein anderer mich kennt.« Er setzte alles auf eine Karte. »Glaubst du, dass ich zu so etwas fähig wäre?«
Sie antwortete nicht direkt. »Es ist das größte Unrecht, das man einem Weibchen antun kann, ganz gleich ob Mensch oder Drache. Es beleidigt und entsetzt mich in jeder Hinsicht. Solltest du das getan haben, Kennit, ist es unentschuldbar.
Nicht einmal mit deinem Tod könntest du dafür sühnen.« In ihrer Stimme schwang mehr als nur menschliche Wut mit. Es war eine kalte, reptilienhafte Unerbittlichkeit. Das hatte nichts mehr mit Rache oder Vergeltung bis zur Vernichtung zu tun.
Es überlief Kennit eiskalt. Er suchte Halt an der Reling. Und seine Stimme klang belegt, als er antwortete.
»Ich versichere dir, dass ich Althea Vestrit nichts Böses wollte. Sie zu verletzen oder zu beleidigen würde allen meinen Plänen zuwiderlaufen.« Er holte tief Luft und vertraute sich dem Schiff an. »In Wahrheit habe ich sie sehr liebgewonnen, seit sie auf das Schiff gekommen ist. Meine Gefühle für sie verstören und verwirren mich. Ich bin nicht sicher, wie ich mit ihnen zurechtkommen soll.« Wenigstens diese letzten Worte klangen aufrichtig.
Sie schwieg lange. »Was ist mit Etta?«, fragte sie schließlich.
Wer war stärker in dem Schiff, Blitz oder Viviace? Blitz hatte Etta gemocht, und Viviace hatte aus ihrer Eifersucht auf Etta niemals einen Hehl gemacht. »Ich bin zerrissen«, gab Kennit zu. »Etta ist schon so lange an meiner Seite. Ich habe mit angesehen, wie sie weit über die gemeine Hure hinausgewachsen ist, die ich aus Bettels Bordell gerettet habe. Sie hat sich auf vielerlei Arten entwickelt, aber neben Althea verblasst sie natürlich.« Er hielt inne und seufzte dann leise.
»Althea ist eine vollkommen andere Frau. Ihre Abstammung und ihre Erziehung zeigen sich in jeder Bewegung, die sie macht. Und sie hat auch eine Kompetenz an sich, die ich sehr attraktiv finde. Sie ist mehr wie… du. Und ich muss zugeben, dass ein großes Maß der Anziehungskraft, die sie auf mich ausübt, darin liegt, dass sie ein Teil von dir ist. Dieselbe Familie die dich formte, hat
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