Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
würde es auch die Mannschaft inspirieren, wenn sie Zeuge einer solchen Hingabe wurde. Kennit sah Wintrow an, trauerte schon um ihn und wappnete sich vorab gegen die Härte des Lebens.
»Wintrow«, rief er mit gespielter Heiterkeit. »Wie du siehst, ist Viviace wieder bei uns. Sie möchte deine Tante Althea sehen. Bring sie und Jek bitte auf das Vordeck. Und mach es ihnen so bequem wie möglich. Ich werde selbst dafür sorgen, dass Altheas alte Kabine für sie beide hergerichtet wird.« Er drehte sich wieder zum Schiff um, aber seine Worte galten auch Wintrow. »Ich werde alles tun, was ich kann, um es ihnen so angenehm wie möglich zu machen. Du wirst bald sehen, dass sie meine geehrten Gäste sind, nicht meine Gefangenen.«
Wintrow fand es selbst feige, aber er befreite trotzdem erst Jek von ihren Fesseln. »Viviace will dich und Althea auf dem Vordeck sehen«, begann er, aber noch bevor er weiter erklären konnte, hatte die blonde Frau ihm die Schlüssel aus der Hand gerissen und machte sich am Schloss der Fußfesseln zu schaffen. Sobald sie frei war, sprang sie auf und blickte mit kalten blauen Augen auf ihn hinunter. Das Schlangengift hatte Löcher in ihre Kleidung gefressen und entblößte ihre verätzte Haut. Aber trotz ihrer Verletzungen war sie eine beeindruckende und kräftige Frau. »Wo ist Althea?«, fragte sie.
Sie folgte ihm durch das Schiff und schob ihn an der Tür einfach beiseite. Sie entriegelte das Schloss und öffnete die Tür. Im gleichen Moment stürzte sich Althea auf sie. Seine Tante rammte ihre Schulter in die Brust der größeren Frau.
»Althea!«, rief Jek, umschlang sie und hielt ihre Arme fest, während Althea wie wild um sich schlug. »Ich bin's, Jek! Beruhige dich!«
Nach einem Moment hörte Althea auf zu kämpfen. Sie warf den Kopf zurück und starrte Jek an. Ihr Haar war zerzaust, und ihre Augen wirkten wie schwarze Löcher. Sie stank nach Erbrochenem. »Ich muss ihn umbringen!«, stieß sie hervor. Ihr Kopf wackelte hin und her, und sie umklammerte die Schulter ihrer Freundin. »Versprich mir, dass du mir hilfst, ihn umzubringen.«
»Althea, was ist mit dir?« Jek warf Wintrow einen wütenden Blick zu. »Was ist mit ihr passiert?«
»Er hat mich vergewaltigt«, keuchte Althea. »Kennit hat mich vergewaltigt. Er ist immer wieder in die Kabine gekommen, hat so getan, als wäre er freundlich, hat mich geküsst und dann… Und mein Schiff… Mein Schiff wird festgehalten, wo es weder die Wellen sehen noch den Wind fühlen kann…«
Jek sah Wintrow über Altheas gesenkten Kopf hinweg an. Sie war über den Zustand ihrer Freundin sichtlich schockiert.
»Alles wird gut«, sagte sie leise. Aber ihr Blick wirkte unsicher.
»Viviace will dich sehen. Jetzt gleich«, sagte Wintrow hastig.
Es war das Tröstendste, was ihm einfiel. »Sie möchte, dass du sofort zu ihr kommst.«
»Mein Schiff!« Althea schluchzte fast. Sie befreite sich grob aus Jeks Umarmung und stolperte durch den Gang.
»Was ist mit ihr los?«, wollte Jek von Wintrow wissen. Kalte Wut lag in ihrem Blick.
»Zu viel Mohnsirup«, erklärte er, stellte aber fest, dass er nur noch zu leeren Wänden sprach. Jek war hinter Althea hergelaufen.
Das Vordeck war noch nie so weit entfernt gewesen. Althea bewegte sich wie in einem Traum. Die Luft war wie Gel auf ihrer Haut, aber wenn sie sich dagegen lehnte, gab sie nur zu leicht nach. Sie mühte sich weiter vorwärts durch den Gang und stützte dabei eine Schulter gegen die Wand. Als sie das Deck erreichte, schien es sich endlos vor ihr zu erstrecken. Sie nahm allen Mut zusammen, um das Wagnis einzugehen.
Plötzlich stand Jek neben ihr und ergriff ihren Arm. Ohne ein weiteres Wort lehnte sich Althea an sie und machte sich daran, die Strecke zu überwinden.
Tränen brannten in ihren Augen. Sie hatte das Gefühl, ebenso die Zeit wie den Raum zu überwinden. Endlich konnte sie ihre albernen Entscheidungen zurücklassen und sich dem Ort nähern, der für sie bestimmt war. Sie hatte Brashen verloren, den armen Paragon und alle Matrosen, die mit ihnen gesegelt waren. Kennit hatte ihren Körper missbraucht, und ihr Schiff befand sich immer noch in seinen Händen. Aber wenn sie irgendwie das Vordeck erreichen und wieder in Viviaces Augen blicken konnte, kam sie bestimmt mit allem zurecht. Es würde zwar nicht weniger wehtun, und das Leid würde nicht einfach aufhören, aber wenigstens hatte sie noch etwas, was das Leben lebenswert machte.
Dieser Hundesohn Kennit stand ebenfalls
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