Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
weg!«, schrie sie ihn an. Tränen rannen ihr über die Wangen. Es war sinnlos. Wo war ihre Kraft geblieben? Sie taumelte, als sie realisierte, dass das Schiff nicht nach ihr griff und sie stützte.
Viviace erklärte ruhig: »Du musst das jetzt allein tun, Althea. Jeder von uns muss es tun.«
Es war so, als hätte ihre eigene Mutter sie verstoßen. »Aber du warst bei mir. Du weißt, was er mir angetan hat, wie er mich verletzt hat…«
»Nicht genau«, erwiderte das Schiff liebevoll, und in diesen Worten vollzog sich die Trennung endgültig. Das Schiff war jetzt ein eigenständiges Geschöpf und konnte sie genauso missverstehen wie jeder Mensch. Und war auch in der Lage, ihr nicht zu glauben.
»Ich weiß, wie real dein Schmerz ist und war«, sagte Viviace.
»Es ist nur so, dass… Vielleicht kenne ich dich zu gut, Althea. All die Jahre, die du bei mir an Bord gelebt hast, all die Träume, die du mit mir geträumt hast, bevor ich erwacht bin.
Ich habe sie mit dir geteilt, weißt du. Und es ist nicht das erste Mal, dass dich ein solcher Albtraum geplagt hat.« Es herrschte verlegenes Schweigen, und dann fuhr sie fort: »Devon hat dir großes Unrecht zugefügt, Althea. Und es war nicht deine Schuld. Es war nie deine Schuld. Genauso wenig wie du für Brashens Tod verantwortlich bist. Du verdienst es nicht, bestraft zu werden.«
Viviace war einer Wahrheit zu nahe gekommen, die Althea nicht hören wollte. Es war eine Wahrheit, die sie im Moment nicht ertragen konnte. Alle Verbindungen zwischen Schmerz und Schuld, zwischen Altheas leichtsinnigem Eigensinn und dem Tod all derer, die sie liebte, und den schlimmen Dingen, die ihr widerfuhren, weil sie schlimme Dinge verdiente, all das schien um sie herum zu tanzen. Ihr wurde schwindlig. Wenn sie sich ihrer Mutter nicht widersetzt hätte und nicht mit ihrem Vater auf das Schiff gegangen wäre, hätte Ronica sie mehr geliebt und Keffria das Schiff nicht vermacht. Wenn Devon sie nicht entjungfert hätte, hätte sie das Keffria auch nicht erzählen müssen, und die hätte sie nicht all die Jahre verachtet. Nichts davon hätte jemals begonnen, der Paragon wäre nicht gesunken und Brashen nicht gestorben, ebenso wenig wie Amber und der junge Clef. Wie sollte sie es nur ertragen, an ihn zu denken…
»Ich will wieder zurück in meine Kabine«, bat sie heiser.
»Ich bringe dich hin«, bot Jek ihr an.
Wintrow klopfte vorsichtig an die Tür seiner Kabine und zuckte zurück, als Jek sie aufriss. Einen Moment starrte er die große Frau aus dem Norden einfach nur an. Schließlich fand er seine Sprache wieder. »Kennit dachte, dass ihr vielleicht Frauenkleider bevorzugen würdet.«
Sie starrte ihn finster an, als hätte er sie allein mit diesem Ansinnen beleidigt, trat aber zurück und winkte ihn herein.
Althea saß in der Koje und hatte die Knie bis zur Brust hochgezogen. Auf dem Boden lag eine Matratze für Jek.
Althea sah besser aus, abgezehrt zwar, aber wacher. Die Spannung in der Kabine ließ Wintrow ahnen, dass er mitten in eine Auseinandersetzung gestolpert war.
Seine Tante warf einen verächtlichen Blick auf die glatten Stoffe, die er in den Armen trug. »Nimm sie wieder mit. Von ihm nehme ich nichts.«
»Warte!«, mischte sich Jek ein. Sie warf Althea einen entschuldigenden Blick zu. »Ich stecke in dieser Kleidung, seit wir über Bord gegangen sind. Ich kann mich nicht mehr riechen.« Dann verzog sie das Gesicht. »Und du! Deine Kleidung stinkt nach Erbrochenem.«
»Siehst du nicht, was diese Kleider sind?«, fuhr Althea hoch.
»Sie sind ein Bestechungsversuch. Wenn ich eines von ihnen trage, wird man mich als Hure betrachten, die mit Kleidern gekauft worden ist. Und niemand wird mir glauben, was er mir angetan hat.«
»Ich glaube nicht, dass er das beabsichtigt«, widersprach Wintrow ruhig. Er vermutete, dass Kennit mit diesem Geschenk eher dem Schiff gefallen, als sich Altheas Gunst erkaufen wollte, aber der Blick, den sie ihm zuwarf, brachte ihm zum Schweigen. Er wusste nicht, wie er ein Gespräch mit ihr anfangen sollte. Gib ihr Zeit, sagte er sich. Soll sie doch diejenige sein, die anfängt zu reden!
Er schloss die Tür hinter sich und legte die Kleider auf das Fußende der Koje. Außerdem hatte er noch eine kleine Schmuckschatulle und mehrere Duftflakons dabei.
Jek hob die Brauen beim Anblick der Schätze und sah dann Althea an. »Macht es dir etwas aus, wenn ich es mir ansehe?«
»Ist mir egal«, log Althea. »Du hast ja schon deutlich gemacht, dass
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