Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
sei denn, sie wollte Kennit für sich selbst. Und wollte Paragon aus dem Weg räumen, damit sie keine Rivalen hatte.
Vielleicht hatte Kennit ihn ja belogen. Möglicherweise wollte Kennit ja, dass er tot war, damit er mit Viviace zusammen sein konnte.
Dieser verräterische Gedanke erschreckte ihn. »Geh weg! Das ist allein meine Entscheidung!«
»Und wer bist du, dass du diese Entscheidung treffen kannst?« Die Seeschlange gab nicht auf.
»Paragon. Ich bin Paragon von den Ludlucks!« Der Name war ein Talisman, der die anderen Identitäten in Schach hielt.
Die Seeschlange rieb sich an ihm. Es war eine lange Liebkosung, Haut an Hülle. »Und wer bist du noch?«, wollte sie wissen.
Er fühlte, wie Amber ihre nackten Hände an sein Holz presste. »Nein!«, schrie er sie beide an. »Nein! Ich bin Paragon von den Ludlucks! Nur das!«
Aber in ihm sprachen noch andere Stimmen, aus einer Finsternis tiefer als jede Höllengrube, und Amber lauschte ihnen.
Althea schlug die Augen auf und wartete darauf, dass sich der Traum verflüchtigte. Anscheinend war sie an Bord der Viviace , in ihrer alten Kabine. Der Raum sah aus wie früher, aber irgendwie fühlte er sich anders an. Eine Erinnerung aus der Reaper regte sich in ihr. Das Schiff hatte sich genauso angefühlt. Totes Holz. Althea empfing überhaupt keine Signale von dem Lebensschiff. Sie tastete danach, fühlte jedoch nur das sachte Schwanken des Schiffes. Hatten sie das Schiff erobert?
Stand Brashen am Ruder und hielt Kurs auf Bingtown?
Sie richtete sich auf, etwas zu schnell. Ein Hustenanfall schüttelte sie. Eine Erinnerung schoss ihr durch den Kopf: Sie lag durchgefroren auf dem Deck der Viviace und hustete Meerwasser aus. Der salzige Geschmack war immer noch in ihrem Mund und brannte in ihrer Nase. Das war echt gewesen.
Das Deck unter ihr war sehr hart, und nicht nur so, wie Holz eben war. Sie hatte gefühlt, wie die Planken unter ihren Händen sie geradezu zurückgestoßen hatten. Jek war bei ihr gewesen, aber jetzt war von ihr nichts zu sehen. Ihr Haar war immer noch feucht, also konnte nicht allzu viel Zeit verstrichen sein. Aus dem Fenster blickte sie in den verhangenen Himmel eines frühen Winterabends, der von einem drohenden Sturm noch mehr verfinstert wurde. Eine Laterne hing an einem Haken.
Althea blieb ruhig sitzen und versuchte, sich einen Reim auf die Geschehnisse zu machen. Die Seeschlangen hatten das kleine Boot mit Wasser voll gespritzt, und dann hatte eine es auf der Breitseite erwischt. Das Boot und alle, die drin gesessen hatten, waren von dem gewölbten Rücken der Seeschlange abgeprallt. Sie erinnerte sich, wie sie auf dem Wasser aufgeschlagen und gesunken war und ihre Stiefel abgestreift hatte. Aber das Meer hatte an dem schweren Stoff ihrer Kleidung gezogen, und jede Welle hatte sie länger unter Wasser gedrückt. Althea erinnerte sich nicht mehr, dass Jek sie gepackt hatte, aber sie war davon überzeugt, dass die große Frau ihr geholfen hatte. Schließlich waren sie aus dem Wasser gefischt und auf das Deck der Viviace gebracht worden.
Und jetzt war sie hier. Jemand hatte ihr das Nachthemd eines Mannes angezogen. Es bestand aus feinstem Leinen, und warme Wolldecken lagen über ihren Beinen. Irgendjemand hatte sich sehr wohlwollend um sie gekümmert. Vermutlich war das ein Zeichen. Die Verhandlungen waren offenbar gut verlaufen. Wahrscheinlich war Brashen bereits an Bord und redete mit Kapitän Kennit. Das würde erklären, warum sie nicht zum Paragon zurückgebracht worden war. Sie würde sich anziehen und sie suchen, und zwar sofort, nachdem sie zur Galionsfigur gegangen war. Sie war viel zu lange von ihrem Schiff getrennt gewesen. Wenn sie sich erst einmal mit Viviace unterhielt, konnte sie gewiss alle Barrieren überwinden, die sie trennten.
Sie sah sich in der Kabine um, konnte allerdings keine Spur von ihrer Kleidung entdecken. Aber an einem Haken hingen Hemden und Hosen, die in etwa ihre Größe haben mussten.
Jetzt war nicht der richtige Augenblick, um schüchtern zu sein.
Sie würde später demjenigen danken, der ihr Kabine und Kleidung überlassen hatte. Vermutlich war es der Maat. Die Bücher im Regal zeigten ihr, dass er eine gewisse Bildung haben musste. Ihr Respekt vor Kennit wuchs. Die Qualität der Mannschaft sagte eine Menge über ihren Kapitän aus. Sie vermutete, dass sie mit dem Piraten gut zurechtkommen würde.
Einer Gewohnheit aus ihrer Kindheit folgend, presste sie die Handflächen flach an den Hexenholzbalken
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