Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
als Ihr zuletzt auf diesem Schiff gewesen seid. Das Schiff jedenfalls ist nicht mehr dasselbe.«
Während er seine Hand sinken ließ, fügte er rasch hinzu: »Kein intelligentes Geschöpf könnte mitmachen, was sie ertragen musste, ohne dadurch verändert zu werden.« Er beugte sich vor und flüsterte: »Gebt ihr Zeit. Lasst Euch Zeit, ihr zu begegnen und sie als das zu akzeptieren, was sie ist. Und seid tolerant, wenn sie wütend ist. Ihre Wut hat tiefe Wurzeln, und sie ist berechtigt.« Sein warmer Atem duftete nach Gewürznelken.
Ohne viel Umstände setzte er sich neben Althea auf das Bett.
»Jetzt sagt mir eins: Fühlt Ihr Euch besser?«
»Viel besser, danke. Wo ist Jek? Die Frau, die bei mir war? Ist Brashen an Bord? Haben die Schlangen dem Paragon viel Schaden zugefügt? Wie habt Ihr sie abgeschüttelt? Ist mein Neffe Wintrow noch am Leben, und geht es ihm gut?« Mit jeder Frage, die sie stellte, quoll eine neue in ihr hoch, bis Kennit sich vorbeugte und ihr zwei Finger auf den Mund legte.
Althea zuckte vor der Berührung zurück, duldete sie aber, indem sie sich einredete, dass er vermutlich keine Hintergedanken hatte.
»Shh«, sagte er freundlich. »Shh. Eins nach dem anderen. Ihr solltet Euch eigentlich im Moment nicht mit diesen Dingen belasten. Für einen Tag habt Ihr genug erlebt. Jek schläft sehr tief. Eine Schlange muss sie gestreift haben, denn ein Bein und ihre Rippen sind verätzt. Aber sie wird sicher bald wieder gesund sein. Ich habe ihr Mohnsirup gegen die Schmerzen gegeben. Im Moment sollten wir sie nicht stören.«
Althea konnte eine beunruhigende Frage nicht zurückhalten.
»Wer hat sich dann um mich gekümmert? Und mich hier ins Bett gebracht?« Sie berührte unwillkürlich den Kragen ihres Nachthemdes.
»Ich.« Er sah sie nicht an, während er antwortete, und lächelte beinahe unmerklich. »Ich wollte diese Pflicht keinem meiner Matrosen überlassen. Und es ist keine andere Frau an Bord.«
Altheas Gesicht glühte.
»Ich habe Euch etwas mitgebracht.« Er stand auf und klemmte die Krücke wieder unter seine Armbeuge. Dann ging er zum Tisch, nahm das Tablett und stellte es neben ihr Bett.
Trotz seines fehlenden Beins bewegte er sich mit dem sicheren Gang eines echten Seemanns. Althea zog die Beine zurück, damit er das Tablett abstellen konnte. Er stellte es hin und setzte sich daneben. »Das ist Wein und Branntwein, gemischt mit Gewürzen. Ein altes Rezept aus Divvytown. Es wärmt sehr gut, kräftigt und hilft hervorragend gegen Schmerzen. Versucht etwas davon, während ich rede. Es wirkt am besten, wenn es noch warm ist.«
Sie hob die Schüssel mit beiden Händen an. Die Dämpfe allein versprachen schon Linderung. Dunkle Gewürze wirbelten am Boden der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Sie hob die Schale an den Mund und trank einen Schluck. Wärme durchströmte sie und milderte ihre Anspannung. Ein Schauer überlief sie, und sie bekam eine Gänsehaut. Ihr kam es so vor, als habe ihr Körper die kalte See in ihr gefangen gehalten und würde sie erst jetzt langsam wieder freigeben.
»Schon besser«, meinte Kennit aufmunternd. »Mal sehen. Wintrow ist im Augenblick nicht an Bord des Schiffes. Er dient auf der Marietta unter Sorcor, meinem Stellvertreter. Ich habe festgestellt, dass es einen viel versprechenden Mann noch stärker fördert, wenn er von Schiff zu Schiff weitergereicht wird und verschiedene, verantwortliche Positionen besetzt. Es verbessert seine seemännischen Fertigkeiten und seine Fähigkeit, selbstständig zu denken. Ihr habt zweifellos bemerkt, dass Ihr im Augenblick seine Kabine und sein Bett belegt. Aber macht Euch deshalb keine Sorgen. Er fühlt sich sehr wohl da, wo er ist, und ich weiß, dass er Euch nichts übel nehmen würde.«
»Danke«, sagte sie zurückhaltend. Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Kennit betrachtete Wintrow offensichtlich als einen von seinen Leuten, als jemanden, der für größere Aufgaben ausgebildet werden musste, wie ein Sohn in einem Familienunternehmen. Mit einer solchen Situation hatte sie nie gerechnet und wusste jetzt nicht, wie sie darauf reagieren sollte. »Es ist freundlich von Euch, ihm eine solche Möglichkeit zu bieten«, hörte sie sich antworten. Irgendwie war sie von ihren eigenen Worten schockiert. Es sollte freundlich von ihm sein, Wintrow die Chance zu bieten, ein besserer Pirat zu werden? Sie versuchte, ihre Gedanken in den Griff zu bekommen. »Eins muss ich Euch fragen: Wie hat Viviace darauf reagiert, dass
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