Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
entschieden. Sie kämpfte gegen den Sprung des Schiffes ins Nichts an, obwohl sie damit ihr eigenes Bedürfnis nach Vergessen vernichtete.
Du bist aus Leben und Schönheit hervorgegangen und aus den Träumen meiner Familie. Du bestehst aus Wind und Wasser und weiten, blauen Himmeln. Meine Schöne, mein Stolz, du darfst nicht sterben! Wenn alles andere scheitert, wenn die Finsternis alles verschlingt, was ich war, dann musst wenigstens du noch weitermachen.
Sie öffnete Herz und Verstand für das Schiff und überflutete sie mit ihren eigenen Erinnerungen: das tiefe dröhnende Lachen ihres Vaters und der stolze Augenblick, als sie zum ersten Mal das Ruder in die Hand nehmen durfte. Ein sonnendurchfluteter Blick vom Ausguck, die schreckliche Schönheit, in einem Sturm zu den Wellenkämmen emporblicken zu müssen.
Du darfst nicht mit mir enden , beharrte Althea. Denn wenn du das tust, stirbt all das mit dir. All diese Schönheit, all das Leben. Wie kannst du behaupten, du wärst aus Tod gemacht? Es war nicht der Tod, den mein Vater in dich verströmt hat, sondern die Summe seines Lebens. Wie kannst du aus Tod gemacht sein, wenn es die Erbschaft seines Lebens war, die dich erweckt hat?
Eine Stille, die mehr als nur Schweigen war, umhüllte sie. Althea spürte, wie irgendwo ihr Körper allmählich versagte. Kälte und Finsternis klammerten sich an ihre Gedanken, aber sie hielt sich an ihrem Bewusstsein fest, wartete darauf, dass das Schiff nachgab und weitermachte.
Und du? fragte Viviace sie plötzlich.
Ich sterbe, Liebste. Für mich ist es zu spät. Mein Körper ist vergiftet, und mein Geist auch. Mir bleibt nichts Gutes mehr.
Nicht einmal ich?
Oh, mein Herz, du warst immer gut in meinem Leben. Althea fand eine Wahrheit, die sie nicht erwartet hatte. Wenn ich dich wiederherstellen könnte, indem ich lebe, würde ich es tun. Aber ich fürchte, es ist zu spät, meine Meinung zu ändern.
Als Althea nach ihrem eigenen Körper griff, fand sie nur Lethargie und Kälte.
Dann verdammst du mich zu dieser Finsternis. Denn ohne dich habe ich weder die Stärke noch den Willen, mich an ihr vorbei zu kämpfen und mein Leben wiederzuerlangen. Willst du mich hier lassen, für immer allein im Dunkeln?
Alle Gedanken ruhten eine Weile.
Du hast den Mut, mir in den Tod zu folgen, Schiff?
Ja.
Die Falschheit der Situation wurde Althea schlagartig klar. Es war kein Mut, sich dem Vergessen zu überantworten und die Welt denen zu überlassen, die ihnen Böses angetan hatten. Der Tod konnte zwar die Dinge beenden, aber er konnte sie nicht wieder richten. Sie verachtete sich plötzlich dafür, dass sie dem Tod nachgab, während derjenige, der ihr Leben vernichtet hatte, weiterlebte. Und wenn sie den Tod willkommen hieß, bedeutete das auch, ihr Schiff in der Finsternis allein zu lassen.
Dann nimm deinen wahren Mut zusammen, Schiff, und folge mir zurück ins Leben.
Sie griff nach ihrem Körper, aber plötzlich wurde sie an die Zeit unter Wasser erinnert. Wie sie da versucht hatte, sich durch das eisige Wasser emporzukämpfen. Das hier jedoch war noch schlimmer. Die Wellen des Todes boten ihren verzweifelten Bemühungen keinen Halt. Ihr eigener Körper ignorierte ihre Anwesenheit.
Sie atmete nicht mehr. Als sie in der zeitlosen Finsternis nach ihrem Bewusstsein suchte, konnte sie es nicht finden. Ihr Körpergefühl wurde immer zäher, je verstreuter ihr Selbst wurde, und ihr Lebenswille nutzte sich ab. Ihr Bewusstsein breitete sich aus und verschwand gleichzeitig in der grenzenlosen Dunkelheit, die Viviace gefangen hielt. Althea suchte nach Kraft, von der sie zehren konnte, fand aber keine.
Viviace! , flehte sie. Schiff, hilf mir!
Schweigen. Nimm alles, was ich habe , sagte das Schiff schließlich. Hoffentlich ist es genug.
Schiff, nein, warte!
Althea! Spring aufs Deck! Das vertraute Kommando ihres Vaters dröhnte durch ihren Kopf. Wie in einem Reflex gehorchte sie. Ihr Körper zuckte, und sie fiel. Das hölzerne Deck schlug gegen sie, Planke gegen Körper. Augen und Mund taten ihr unter dem Aufprall weh. Winzige Lichter. Sterne, die in dem Rund eines Bullauges gefangen waren. Sie lag auf dem Rücken und schnappte nach Luft wie ein Fisch. Schließlich rollte sie auf die Seite und erbrach sich. Ihre Reflexe übernahmen das Kommando. Sie nieste und schnappte nach Luft.
Atmen. Atmen. Atmen. Holz an Haut, eine entfernte Stimme, die den Rhythmus für sie zählte. Es war Viviace, die ihren Herzschlag kräftigte. Das Schiff war mit ihr
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