ZECKENALARM IM KARPFENLAND
Mitten im Sommer! Was erst, wenn der nächste Winter vor der Tür steht? Die leichte Rötung unter der Haut seines rechten Handrückens fiel Kuno Seitz gar nicht auf. Zu sehr war er darauf bedacht, möglichst schnell sein Ziel zu erreichen. Bis dorthin war es noch ein langer Weg, und das Laufen fiel ihm immer schwerer. Immer öfter musste er stehen bleiben, um eine kleine Pause einzulegen. Wenn nur die verdammten Schmerzen in seinem Kopf nicht wären. Als er den Regnitzgrund erreichte, schien die Sonne mit voller Kraft vom wolkenlosen Himmel. Er wunderte sich, wie leicht die Menschen bekleidet waren, die ihm begegneten. Ihm war total kalt.
Derweilen wüteten die Krim-Kongo-Fieber-Viren in seinem Körper weiter und leisteten ganze Arbeit. Kuno Seitz hatte keine Ahnung, dass er dem Tod bereits ins Antlitz sah.
Eine Woche später, Staatsstraße 2240, unter der Brücke über dem Rhein-Main-Donau-Kanal, Freitag, 13. Juli 2012
Die Blaulichter eines Notarztwagens des BRK und eines Streifenwagens der Erlanger Verkehrspolizei blinkten gegen den nackten, grauen Beton unterhalb der Brücke. Es war acht Uhr morgens. Ein früher Jogger hatte die Polizei mit seinem Mobiltelefon zum Einsatzort gerufen. Dem Mann, der gekrümmt am Boden lag, war nicht mehr zu helfen. Der herbeigerufene Notarzt stellte nur noch seinen Tod fest. Ein offensichtlich ungewöhnlicher Tod. Die Handoberflächen des Toten zeigten offene Wunden die bluteten. Auch im Gesicht waren ähnliche Blutungen unter der Haut erkennbar. Erbrochene, halbverdaute Speisereste breiteten sich in einer blutigen, zwischenzeitlich getrockneten Masse gleich neben dem Leichnam aus. Der Mann musste auch blutigen Urin gelassen haben. Jedenfalls lag diese Vermutung nahe, wenn man seine im Schritt rot durchtränkte Hose betrachtete. Überdies handelte es sich bei ihm sicherlich um einen Landstreicher oder Obdachlosen. So wie der aussah und was der alles mit sich führte, lag dieser Rückschluss mehr als nahe.
„Vorsicht, nichts anfassen!“, warnte der Notarzt die Polizeibeamten, welche sich der Leiche näherten. „Ich bin mir nicht sicher, welche Todesursache hier vorliegt. Keine Ahnung, aber die ganze Angelegenheit könnte ansteckend sein. Das könnte eine Sache für die Gesundheitsbehörden sein. Die Leiche muss jedenfalls obduziert und die Todesursache festgestellt werden. Fremdverschulden scheint mir nicht vorzuliegen. Halten Sie sich lieber etwas von dem Toten entfernt. Ich werde den Abtransport des Leichnams in die Pathologie veranlassen, sowie eine behördlich angeordnete Obduktion.“ Der Mediziner griff zu seinem Mobiltelefon, wählte eine gespeicherte Telefonnummer und führte ein kurzes Gespräch. „Alles klar, der Verstorbene wird in Kürze abgeholt. Bleiben Sie noch so lange hier, bis der Leichenwagen kommt?“
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Noch am gleichen Nachmittag landete der Leichnam von Kuno Seitz auf dem Edelstahltisch von Dr. Niethammer im Pathologischen Institut der Universität Erlangen. Der Mediziner erhielt vorher einen Anruf des Notarztes, welcher den Toten am Fundort kurz untersucht hatte. „Ich bin mir nicht sicher, verehrter Herr Kollege, was der Grund für den Exitus ist, aber ich würde mich nicht wundern, wenn eine meldepflichtige Erkrankung vorliegt. Seien sie deshalb vorsichtig im Umgang mit der Leiche!“ Dr. Niethammer war vorgewarnt und bedankte sich für den gut gemeinten Hinweis und das Engagement des Notarztes. Dann machte er sich an die Arbeit. Er betrachtete den Leichnam ganz genau von allen Seiten. Der Kollege schien nicht Unrecht zu haben. Die Haut auf dem Rücken des Toten war eine einzige oberflächlich blutende Wunde. Selbst der Gaumen wies blutende Merkmale auf. Das Ganze ließ die Vermutung auf ein hämorrhagisches Fieber zu. Nachdem er den Leichnam ausgiebig betrachtet und seine Kommentare auf Band gesprochen hatte, öffnete er mit einem Y-Schnitt vorsichtig den Körper der Leiche. Nach zwei Stunden schwerer Arbeit und nachdem er die ersten Untersuchungsergebnisse vorliegen hatte, war für ihn die Todesursache klar: Tod durch multiples Organversagen, im Einklang mit schwerer Anämie, ausgelöst durch hämorrhagisches Fieber. Als er mittels RT-PCR, der molekularbiologischen Methode für die Bestimmung von Viren-RNA, endgültig Sicherheit gewonnen hatte, griff er sofort zum Telefonhörer und rief seinen Chef, den Leiter des Pathologischen Instituts an. „Herr Prof. Dr. Theimer, ich habe keine guten Nachrichten. Auf meinem Seziertisch liegt eine Leiche,
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