ZECKENALARM IM KARPFENLAND
gefunden? Er öffnete stöhnend die Tür seines Kleiderschranks. Seine Jacke hing ordentlich auf ihrem Kleiderbügel. Wo hatte er seine Wohnungsschlüssel hingelegt? Er quälte sich ins Wohnzimmer. Da lagen sie, auf dem Couchtisch. Der grässliche Geschmack in seinem Mund fühlte sich an, als hätte er die ganze Nacht an einem Misthaufen gelutscht. Oh, diese Kopfschmerzen! Er fühlte sich todkrank. Schwankend bemühte er sich zur Toilette und spülte seinen Mund mit kaltem Leitungswasser. Gott sei Dank war heute Samstag. Ab Montag hatte er zehn Tage Urlaub genommen. Er war noch nie im Allgäu, kannte Schloss Neuschwanstein und Hohenschwangau nur von Fotos. Auf dem Weg dorthin würde er auch in Rothenburg ob der Tauber Station machen. Dorthin waren es ja nur lächerliche siebzig Kilometer. Eine Schande, dass man seine wunderschöne fränkische Heimat nicht kannte – gerade dort, wo sie am schönsten ist. Johannes Sapper überlegte, was er nun machen sollte. Er hatte heute nichts Dringendes zu erledigen. Langsam schlurfte er ins Schlafzimmer zurück, entledigte sich seiner Hose, ließ die Rollläden herunter und legte sich wieder in sein Bett. Nach zehn Minuten war er wieder eingeschlafen. Die drei Zecken hatten sich in seiner Gesäßfalte festgesetzt und saugten noch immer genussvoll das warme Blut.
•
Der Zecken-Mörder war über RaceBets online mit dem Geschehen auf der Rennbahn in Bad Doberan verbunden. Er checkte die Rennergebnisse des vorangegangenen Tages. Gershwin und Indian Lovesong hatten ihre Rennen gewonnen. Genau, wie von ihm vorausgesagt. Mystic Lord war unter den drei Erstplatzierten. Er fluchte leise vor sich und ärgerte sich maßlos, dass er gestern nicht zu seinem Wetteinsatz gekommen war. Schnell überschlug er, dass ihm mehr als zwanzigtausend Euro durch die Lappen gegangen waren. Dennoch blieb er relativ ruhig, denn das Erlebnis der letzten, frühen Morgenstunden stimmte ihn immer noch euphorisch. Heute war ja auch noch ein Tag, um genügend Geld zu machen. Vier Rennen standen noch an, und er hatte sich längst auf seine Favoriten festgelegt. Er würde zweimal auf Sieg und zweimal auf Platz wetten. Noch war bis zum ersten Rennen eine halbe Stunde Zeit. Er dachte an die drei Hyalomma-Zecken, die er letzte Nacht in Johannes Sappers Arschfalte gekippt hatte. Ob sie ihre Arbeit ordentlich verrichten würden? Die Krim-Kongo-Fieber-Viren müssten schon längst in Johannes Sappers Körper angekommen sein. Er würde den Schmarotzer in der nächsten und der darauffolgenden Woche beobachten, denn er wusste, dass die Krankheit nicht immer tödlich verlief. Wenn jedoch in der Anfangsphase der Infektion medizinische Hilfe unterblieb, lag die Sterblichkeitsrate sehr hoch. Er kannte Johannes Sapper. Der pflegte immer zu sagen: „Was vo allans kummd, vergehd aa vo allaans!“ Gegebenenfalls würde er es ein zweites Mal probieren, aber zunächst vertraute er auf die Zuverlässigkeit seiner kleinen Krabbler und der Viren, die sie in sich trugen. Abwarten, nichts übers Knie brechen. Er hatte Zeit. In der Ruhe liegt die Kraft.
•
Dirk Loos, Theresa Fuchs und Retta Bauer saßen in Kunnis Küche, tranken Kaffee und aßen Käsekuchen dazu, den Dirk unterwegs vom Beck mitgebracht hatte. Zweimal war der nette Kerl mit seinem Audi zum Gasthaus Fuchs gefahren und hatte die Geschenke, welche die beiden gestrigen Jubilarinnen bekamen, geholt. Nun stauten sich Blumen, Blumenstöcke, Pakete, Glückwunschkarten und Selbstgebasteltes im Wohnzimmer, auf dem Couchtisch und auf dem Fußboden.
„Iech bin froh, dass vorbei is“, atmete die Kunni erleichtert auf. „Edz gänga die Gäng widder iehrn normaln Weech. Edz hammer widder mehr Zeid fier unsere eigendlichen Hobbis. Gell, Retta?“
„Abber schee woars scho“, träumte die Retta immer noch vom vergangenen Abend.
„Ja, dees woar a scheene Feier“, bestätigte die Theresa Fuchs. „Was maansd du, Dirk?“
Dirk Loos sah seine Vermieterin seit gestern nochmals mit anderen Augen. Hatte er sich bis gestern schon immer um sie bemüht – bisher leider erfolglos, mehr als nette, unverbindliche Gespräche hatte er noch nicht erreicht – war er platt, als sie im weißen, modisch gestylten Hosenanzug erschienen war, der ihre schlanke Figur besonders gut hervorhob. Eine tolle Frau, auch wenn sie ein paar Jährchen älter war als er. Was ihn so richtig heiß gemacht hatte, war die Tatsache, dass sich unter ihrer leichten Sommerhose die Konturen eines ebenfalls weißen
Weitere Kostenlose Bücher