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Zehn (German Edition)

Zehn (German Edition)

Titel: Zehn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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dann weinte sie leise in ihr Handtuch. So hatte sie sich diesen Tag nicht vorgestellt.  
    Eine halbe Stunde später lugte sie durch die Tür des Umkleideraums. Es war still auf dem Gang. Es schien, als habe sich alles beruhigt. Sie trug jetzt wieder Jeans und T-Shirt.  
    Als sie durch die Hintertür gehen wollte, trat Yonchi, der Manager, zu ihr: »Mach dir nicht zu viele Gedanken, Miyu-san. Ich hoffe, deiner Schwester geht es bald besser!«  
    Sie nickte nur. Durch die offene Tür sah sie den Polizeiwagen.  
    Er hatte auf sie gewartet.  
    Es war kühl. Die Straße lag verlassen da. Seiji stieg aus, als sie auf den Wagen zuging. »Kann ich dich nach Hause bringen?«  
    Sie stieg ein. Er lächelte sie an. »Deine Haare waren gestern viel länger«, stellte sie fest.  
    Er lachte. »Ja, ich … ich hatte einige Monate frei. Da habe ich sie wachsen lassen. Heute ist mein erster Tag zurück im Dienst. Gestern, nachdem wir uns in deinem Café gesehen haben, bin ich zum Friseur gegangen.«  
    Sie lächelte. »Warst du im Urlaub?«  
    Seiji fuhr sich durch sein kurzes Haar. »Nein. Ich musste mich um meine Familie kümmern. Mein Vorgesetzter hat mich für drei Monate beurlaubt.«  
    »Oh«, sie sah beschämt zu Boden. Sie war zu forsch gewesen.  
    Still fuhren sie eine Weile durch die nächtlichen Straßen.  
    Seiji sah sie an. Er schien etwas fragen zu wollen, aber er tat es nicht.  
    Miyu antwortete trotzdem: »Ich arbeite seit zwei Jahren dort. Nur meine Schwester wusste, dass ich dort arbeite. Sie wollte schon immer gerne mitkommen. Also habe ich sie heute mitgenommen. Das war ein Fehler. Mein Fehler.«  
    Er hörte zu. Miyu überlegte, ob sie noch mehr sagen sollte.  
    Sie betrachtete verstohlen seine Hände. Kein Ehering.  
    Er hatte ihren Blick gesehen. »Ich hätte fast geheiratet, vor drei Jahren. Aber ihre Eltern waren dagegen. Dann hat sie ein Kind bekommen. Meinen Sohn. Dann wurde sie krank und hat sich vor einem Jahr das Leben genommen. Mein kleiner Sohn lebt nun bei meinen Eltern. Vor ein paar Monaten war meine Mutter sehr krank, deshalb musste ich eine Weile freinehmen.«  
    Miyu hörte ruhig zu. Langsam entspannte sie sich.  
    Da war wieder das wohlige Gefühl.  
    Er sah vor sich auf die Straße: »Deshalb musste ich gestern auch telefonieren, in deinem Café.«  
    Sie sah auf ihre Hände in ihrem Schoß.  
    Dann hob sie den Blick, und ihre Augen trafen sich kurz.  
    Er lächelte und fuhr still durch die Nacht.  
    Sie kamen bei ihrem Apartment an. Miyu lächelte und verbeugte sich leicht: »Danke, Seiji-san.«  
    Bevor sie aussteigen konnte, berührte er ihren Arm: »Miyu, sehen wir uns wieder?«  
    Sie sah für einen Moment das Gesicht des Mannes aus ihrem Traum aufblitzen.  
    Sein Haar war kürzer. Deshalb hatte sie ihn nicht gleich erkannt.  

 
    DAS SCHWEDISCHE HAAR  
    E r hielt seinen schwarzen Schal in den Händen.  
    Den weichen Kaschmirschal, den sein Vater ihm vor Jahren von einer Dienstreise aus Bangkok mitgebracht hatte.  
    Er roch ihr Parfum. Würzig, ein bisschen pudrig. Es roch nach Europa. Japanerinnen rochen anders.  
    Er hatte Ingeborga seinen Schal geliehen, als sie gestern Nacht durch Golden Gai spaziert waren.  
    Ingeborga.  
    Der Name war schwer auszusprechen, er hatte drei Anläufe gebraucht, sie hatte hell darüber gelacht und leicht seinen Arm berührt.  
    Ingeborga, das Mädchen aus Schweden, das für drei Monate ein Praktikum machte in Tokio.  
    Er war neben ihr gelaufen. Aufgeregt und wach.  
    Ikuko hatte sie zum Essen mitgebracht. Stolz war sie gewesen auf die große, blonde Freundin, die alle überragte und so schön lachte. Die beiden hatten sich in Stockholm kennengelernt. Als Ikuko mit ihrem Mann nach Europa gereist war, weil er einen Vortrag in Malmö hielt. Ikukos Mann war Molekularbiologe.  
    All das hatte Ikuko erzählt. Und auch, dass sie Ingeborga geholfen hatte, das Praktikum in Tokio zu bekommen.  
    Ingeborga lächelte, während Ikuko sprach, sie verstand kein Japanisch, aber sie hörte Ikuko ihren Namen sagen, »Ingeborga-chan«.  
    Ihre blauen Augen schauten lächelnd in die Runde, und ihr Blick blieb schließlich bei ihm hängen.  
    Er war beschämt und schaute schnell weg. Als er wieder aufsah, blickte sie ihn noch immer an und zwinkerte ihm leicht zu.  
    Er hatte ein Lächeln versucht. Das war sehr gefährlich.  
    Sie saßen auf Tatamimatten in einem kleinen Ramenrestaurant in Shinjuku, an einem großen »Kotatsu«, einem

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