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Zehn Jahre nach dem Blitz

Zehn Jahre nach dem Blitz

Titel: Zehn Jahre nach dem Blitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pjhilip K. Dick
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Verfügung standen, und die Rakete würde wuuuum! in die Luft fliegen. In Genf. Und Stanton Brose mit ihr.
    Bei Gott, dachte Adams, vielleicht werde ich dem Vac eines Tages keine Rede eingeben, nicht einmal eine gute Rede, wie die hier neben mir, die ich gestern nacht endlich doch vollendet habe, sondern eine sehr einfache, kühle Darlegung der Fakten. Ich werde es über den Vac auf den Sim übertragen und dann auf Audio- und Videoband, denn dieser Vorgang ist autonom und bedarf keiner redaktionellen Überwachung, es sei denn, Eisenbludt schaut zufällig herein ... und selbst er kann den gesprochenen Teil der Sendung technisch nicht beeinflussen.
    Und dann wird der Himmel einstürzen.
    Aber das müßte ein interessanter Anblick sein, dachte Adams. Wenn man sich weit genug entfernen konnte, um es zu beobachten.
    »Hört zu«, würde er dem Megavac 6-v eingeben. Und all die seltsamen kleinen Apparaturen im Vac würden rotieren, und aus dem Munde des Sim würde, umgeformt, der Vortrag quellen; das einfache Wort würde diesen schönen, bekräftigenden Anstrich erhalten, um einer Sache Glaubwürdigkeit zu verleihen, die – man muß es sich eingestehen, dachte er bissig – andernfalls nur eine unglaublich armselige und wenig überzeugende Geschichte wäre. Was dem Megavac 6-v als einfacher Logos eingegeben wurde, trat für die TV-Kameras und -Mikros in der fesselnden Verkleidung einer Verkündigung zutage, an der niemand, der bei Verstand war – insbesondere, wenn er seit fünfzehn Jahren unter der Erdoberfläche eingeschlossen lebte –, zweifeln würde. Aber – es würde ein Widerspruch in sich sein, weil Yancy selbst es besiegelte; wie das alte Rätsel »Alles, was ich sage, ist eine Lüge«, würde es sich selbst in Frage stellen, würde sein schlüpfriges, dürres Selbst zu einem guten, festen Seemannsknoten verknüpfen.
    Und was wäre damit erreicht? Da sich schließlich doch Genf darauf stürzen würde ... und es bereitet uns keine Freude, formulierte Joseph Adams in Gedanken mit der Stimme, die er, wie alle anderen Yancy-Leute auch, schon vor langer Zeit verinnerlicht hatte. Das Über-Ich, wie es die Vorkriegsintellektuellen genannt hatten.
    Gewissen.
    Stanton Brose, verkrochen in seiner burgartigen Festung in Genf wie ein spitzhütiger Alchimist, wie ein faulender, aber, wie es hieß, glänzender, stinkender, schimmernd bleicher Fisch im Meer, eine tote Makrele mit verschleierten, glaukomgetrübten Augen ... oder konnte Brose so sehen?
    Nur zweimal im Leben hatte er, Joseph Adams, Brose leibhaftig zu Gesicht bekommen. Brose war alt. Wie alt doch gleich, zweiundachtzig? Und nicht hager. Kein Gerippe, an dem dürres, geräuchertes Fleisch in Streifen herunterhing; mit seinen zweiundachtzig Jahren wog Brose eine Tonne, watschelte und schwabbelte und keifte und sabberte aus Mund und Nase ... und doch schlug sein Herz noch, denn es war selbstverständlich ein künstliches Herz und eine künstliche Milz und eine künstliche Niere und so weiter.
    Und doch blieb es der echte Brose. Denn das Gehirn war nicht künstlich; etwas Derartiges gab es nicht, ein künstliches Gehirn herzustellen, war unmöglich – wäre es damals gelungen, als diese Arti-Gan-Gesellschaft in Phönix noch vor dem Krieg bestanden hatte – so wäre das dem gleichgekommen, was Adams gerne als »echte, künstlich hergestellte Silber« bezeichnete ... sein Ausdruck für das, was er als neue und doch vollkommene Wesenseinheit im Gefüge der Natur mit ihrer vielgestaltig hervorgebrachten Nachkommenschaft betrachtete: das Universum der echten Nachahmungen.
    Und dieses Universum, überlegte er, von dem man glauben würde, man könnte durch den Eingang treten, hindurchgehen und es dann durch den Ausgang wieder verlassen, all das in grob gerechnet zwei Minuten ... dieses Universum war, wie die Requisitenberge in Eisenbludts Moskauer Filmstudios, endlos, es reihte sich darin Raum an Raum; der Ausgang des einen Raumes war lediglich der Eingang des nächsten.
    Und wenn nun Verne Lindblom recht hatte, wenn der Mann vom geheimen Nachrichtendienst, der Webster-Foote-Gesellschaft in London, recht hatte, war eine neue Eingangstür, angestoßen von der Hand, die sich in all ihrer zittrigen Senilität von Genf her ausgestreckt hatte, aufgeschwungen ... in Adams’ Vorstellung wuchs das Bild, wurde sichtbar und furchterregend; er sah die Tür tatsächlich vor sich, spürte die Dunkelheit, die sie verströmte – ein Raum ohne Licht, den er schon bald betreten

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