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Zehn Jahre nach dem Blitz

Zehn Jahre nach dem Blitz

Titel: Zehn Jahre nach dem Blitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pjhilip K. Dick
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(und schließlich war er während des Ersten Weltkrieges, wie alle Deutschen, einer großen und langanhaltenden Belastung ausgesetzt gewesen) hatte die eher phlegmatische angelsächsische Bevölkerung zu der Annahme verleitet, Hitler sei »gefährlich«. Tatsächlich aber – und Alex Sourberry schnurrte diese Botschaft in jeder Episode von neuem einschmeichelnd hervor – würde der TV-Zuschauer in Wes-Dem entdecken, daß sich England, Frankreich, Deutschland und die Vereinigten Staaten hätten verbünden müssen. Gegen den wahren Übeltäter, Josef Stalin, mit seinen größenwahnsinnigen Plänen, die Welt zu erobern ... was die Taten der UdSSR in der Nachkriegszeit bewiesen – einer Zeit, in der selbst Churchill zugeben mußte, daß der wahre Feind die Sowjetunion war.
    Und es schon immer gewesen war. Kommunistische Propagandisten jedoch, die Fünften Kolonnen der westlichen Demokratien, hatten das Volk, ja, sogar die Regierungen betrogen ... selbst Roosevelt und Churchill, und zwar bis in die Nachkriegszeit hinein. Man nehme nur Alger Hiss ... Oder die Rosenbergs, die das Geheimnis der Bombe gestohlen und den Sowjetrussen verraten hatten.
    Oder man nehme zum Beispiel die Szene, mit der die vierte Episode der Fassung A begann. Joseph Adams ließ die Spule weiterlaufen, hielt sie dann bei der entsprechenden Episode an und heftete den Blick auf das Filmgerät, diese neuzeitlich-technologische Kristallkugel, in die man blickte, um – nein, nicht die Zukunft – die Vergangenheit zu erfahren. Und ...
    Nicht einmal die Vergangenheit. Sondern an ihrer Stelle diese Fälschung, die er jetzt vor sich hatte.
    Vor seinen Augen ein Filmausschnitt, kommentiert von dem unerträglich allgegenwärtigen Alex Sourberry und seinem öligen, kunstfertigen Gemurmel. Ein Ausschnitt, der für die umfassende Moral der Fassung A, die Gottlieb Fischer mit Rückendeckung von der Militärverwaltung der Wes-Dem versucht hatte herauszuarbeiten, von lebenswichtiger Bedeutung war – mit anderen Worten, es war die Existenzgrundlage der gesamten fünfundzwanzig einstündigen Episoden der Fassung A.
    Die Szene, die sich im Kleinformat vor ihm entrollte, zeigte das Zusammentreffen der Staatsoberhäupter Roosevelt, Churchill und Stalin. Der Schauplatz: Jalta. Verhängnisvolles, schicksalhaftes Jalta.
    Da saßen sie, die drei führenden Staatsmänner der Welt, in aneinandergrenzenden Sesseln und ließen sich fotografieren; das war ein historischer Augenblick, dessen Größe kaum zu ertragen war. Und kein Mensch auf der Welt konnte es sich leisten, ihn zu vergessen, denn hier – Sourberrys schnurrende Stimme verkündete es – war die folgenschwere Entscheidung gefallen. Hier sehen Sie es mit eigenen Augen.
    Welche Entscheidung?
    Die geübte, weiche Stimme flüsterte an Joseph Adams Ohr: »An dieser Stelle, in diesem Augenblick, wurde der Handel abgeschlossen, der das zukünftige Geschick der Menschheit bis in noch ungeborene Generationen entscheiden sollte.«
    »Also gut«, sagte Joseph Adams laut und schreckte damit einen arglosen Yance-Mann auf, der ihm gegenüber vor einem Bildschirm saß. »Verzeihung«, entschuldigte sich Adams und sprach dann nicht mehr laut vor sich hin, sondern dachte nur noch: Zeig es uns, Fischer. Zeig uns den Handel. Wie sie immer sagen: erzähl es uns nicht, zeig es uns. Laß sehen oder halt den Mund. Zeig uns die grundlegende Beweisführung dieses großen, langen »Dokumentarfilms« oder verzieh dich.
    Und weil er ihn schon so oft gesehen hatte, wußte er, daß der Regisseur es zeigen würde.
    »Joe«, ertönte eine Frauenstimme dicht an seinem Ohr und riß ihn aus seiner Versunkenheit; er lehnte sich zurück, blickte auf und sah sich Colleen gegenüber.
    »Warte«, sagte er. »Sag nichts. Nur eine Sekunde.« Wieder heftete er die Augen auf den Schirm, erregt und furchtsam, wie einer dieser armen Tanker, dachte er, der sich in seiner wahnhaften Angst – zumindest bildet er es sich ein – mit der Schrumpfseuche infiziert hat, dem übelriechenden Vorboten des Todes. Aber ich bilde mir das hier nicht nur ein, sagte sich Joseph Adams. Und das Entsetzen schwoll in seinem Innern an, bis er es nicht mehr ertragen konnte; und doch fuhr er in seiner Betrachtung fort, und die ganze Zeit über murmelte und flüsterte Alex Sourberrys Stimme dahin, und Joseph Adams dachte: Empfinden die da unten dasselbe wie ich jetzt? Wenn sie eine Vorstellung, ein Gefühl dafür bekommen, was es in Wahrheit ist, was sie sehen? Daß das, was.

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