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Zehn Jahre nach dem Blitz

Zehn Jahre nach dem Blitz

Titel: Zehn Jahre nach dem Blitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pjhilip K. Dick
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Abmachung mit ihnen getroffen, haben ihnen Ihr Wort – Yancys Wort – gegeben, daß eines Tages alles Unrecht wiedergutgemacht wird.«
    »Nun«, sagte Lantano sanft, »in der Bibel heißt es: ›Laßt Gott Recht sprechen‹, oder etwas Ähnliches; ich habe die genauen Worte vergessen.« Er sah müde und erschöpft aus, noch erschöpfter als Lindblom zuvor; sie alle, ihre ganze Klasse, war müde. Welch eine Last, dachte Adams, ist doch der Luxus des Lebens, das wir führen. Da niemand uns ein Leid aufzwingt, haben wir uns freiwillig dafür entschieden. Er erkannte es in Lantanos Zügen, wie er es zuvor auf Verne Lindbloms Gesicht abgelesen hatte. Aber nicht auf Broses, dachte er plötzlich. Der Mann mit der größten Macht und Verantwortung spürt die Last am wenigsten – wenn er sie überhaupt spürt.
    Kein Wunder, daß sie alle zitterten; kein Wunder, daß ihre Nächte furchtbar waren. Sie dienten einem schlechten Herrn – und sie wußten es.
     
    9
     
    Seine Rede, die er weder David Lantano enthüllt noch je dem Megavac 6-v eingegeben hatte, noch immer – auf ewig, wie es schien – in der Mappe, begab sich Joseph Adams über das horizontale Expreßband von der Fifth Avenue 580 zu dem gewaltigen Magazin für Nachschlagewerke der Agentur, ihrem offiziellen Archiv, in dem alle bekannten Wissensinformationen aus der Zeit vor dem Krieg gespeichert und für die Ewigkeit festgehalten und selbstverständlich für die Angehörigen der Elite, wie er selbst, jederzeit zugänglich waren, wenn sie gebraucht wurden.
    Er brauchte sie jetzt – einen Teil davon.
    An dem riesigen Hauptschalter stellte er sich in der Reihe auf, und als er dem Kombinationstyp XXXV aus Bleiernem und Megavac 2-B gegenüberstand, der die Aufgabe hatte, als Leitzelle in dem verwirrenden Organismus von Mikrobandspulen zu fungieren – hier waren sechsundzwanzigbändige Werke auf die Größe, die Form und das Gewicht eines Jo-Jo-Spiels reduziert –, sagte er mit, wie ihm selbst schien, etwas klagender Stimme: »Hm, ich bin ein wenig verwirrt. Ich suche nicht nach einer bestimmten Quelle, wie zum Beispiel Lucretius’ De Rerum Natura oder Pascals Lettres Provinciales oder Das Schloß von Kafka.« Das alles waren Streiflichter seiner Vergangenheit: Quellen, die ihn, neben dem unvergänglichen John Donne, neben Cicero, Seneca, Shakespeare und vielen anderen, geprägt hatten.
    »Ihren Kennschlüssel bitte«, summte die Leitzelle des Archivs.
    Er steckte den Schlüssel in den Schlitz; er wurde registriert, und dann konnte die Leitzelle ihren Erinnerungsspeicher aktivieren und war augenblicklich darüber im Bilde, welche Quellen er je benutzt hatte und in welcher Reihenfolge; sie durchschaute das Gesamtmuster seines Wissens. Vom Standpunkt des Archivars aus kannte sie ihn jetzt ohne Einschränkungen und konnte ihm – das hoffte er wenigstens – den nächsten Punkt auf der Kurve seines wachsenden, systematisch geordneten Geisteslebens aufzeigen. Die historische Entwicklung seiner Person als wissendes Wesen.
    Er selbst hatte, weiß Gott, keine Ahnung, welches der nächste Punkt der Kurve sein würde; David Lantanos Rede hatte ihm den Boden unter den Füßen fortgezogen, und er taumelte in entsetzlicher Benommenheit umher – eine Krise –, vielleicht zum letzten und entscheidenden Mal, in seiner beruflichen Laufbahn. Er sah sich zumindest der Möglichkeit gegenüber, das zu erleben, was alle Texterfasser für den Talbot-Yancy-Sim fürchteten: das Versiegen ihrer Fähigkeiten. Das Ende ihrer Befähigung, den Vac zu programmieren, ja, überhaupt etwas zu programmieren.
    Die Leitzelle des offiziellen Agenturarchivs klickte einige Male, als würde sie mit ihren elektronischen Getriebezähnen knirschen, und dann sagte sie: »Mr. Adams, erschrecken Sie bitte nicht.«
    »Schon gut«, sagte er, bereits heftig erschrocken. Hinter ihm warteten die anderen Yance-Leute ungeduldig in der Reihe. »Geben Sie schon her«, sagte er.
    Die Leitzelle sagte: »Sie werden höflich auf Quelle Eins zurückverwiesen. Die beiden Dokumentarfilme aus dem Jahre 1982, Fassung A und B; wenn Sie keine Einwände erheben, erhalten Sie an dem Schalter zu Ihrer Rechten die Originalwerke von Gottlieb Fischer.«
    Joseph Adams’ Welt, ihr Boden, die Pfeiler, das Gebäude, die Form selbst, brach auseinander. Und als er an den Schalter zu seiner Rechten trat, um die Spulen in Empfang zu nehmen, starb er innerlich, starb unter Qualen, des systematischen Grundgefüges seines Daseins

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