Zehn zärtliche Kratzbürsten
Schlimmste an der Sache ist, dass Annikki in jeder Hinsicht ein so guter Mensch war.
Sorjonen legte seinem Kunden die Hand auf die Schulter und ve r suchte ihn zu trösten.
Sorjonen: Tot dürfte sie wohl kaum sein, übertreib nicht. Vie l leicht macht sie nur einen Abendspaziergang. Frauen gehen oft draußen spazieren, wenn ihr Mann lange ausbleibt, ich weiß das, weil ich schon viele Männer gefahren und nach Hause gebracht habe. Glaub mir, das wird sich alles aufklären.
Rauno: Verflixte Kratzbürsten …, warum lasse ich mich mit i h nen ein? Meine Ehe leidet darunter.
Sorjonen verteidigte die Frauen, sagte, dass sie nicht wirklich Kratzbürsten seien. Als er eine Weile darüber nachgedacht hatte, kam er jedoch zu anderen Schlüssen.
Sorjonen: Nun ja …, gewissermaßen und andererseits hast du wohl Recht, quasi.
Rauno Rämekorpi rief mehrere Bekannte an, bei denen er Annikki vermutete, aber sie war nirgends aufgetaucht. Eine umfangreichere Suche mochte er nicht einleiten, es war ihm peinlich, seiner Frau hinterherzutelefonieren. Das würde nur unnötiges Aufsehen erregen. Bestimmt hatte sie einen ganz sachlichen Grund gehabt, das Haus zu verlassen, möglicherweise war sie in die Firma gefahren, um ihren Mann zu treffen.
Ein paar Mal im Jahr besuchte sie ihn dort, brachte ihm frische Blumen vom Markt ins Büro und plauderte mit den Mitarbeitern. Annikki war ein bescheidener Mensch, und Raunos Angestellte hatten keine Scheu vor ihr, gingen ganz natürlich mit ihr um. Alle r dings waren die Angestellten jetzt im Wochenende, aber vielleicht war Annikki nach Tikkurila gefahren, um ihn, Rauno, zu suchen.
Rauno: Ha, warum ist mir das nicht gleich eingefallen, lass uns nach Tikkurila fahren.
Erneuter Start. Rauno Rämekorpi saß unruhig auf dem Beifahre r sitz des Taxis. Er dachte an seine Frau, die das Heim verlassen und ohne ein Wort ihrer Wege gegangen war. Sie hätte wenigstens einen Zettel hinterlegen können, aber, typisch Frau, hatte sie ihren Mann einfach seiner Verzweiflung überlassen. Hoffentlich war sie in die Firma gefahren.
Der Rämekorpi-Konzern befand sich auf einem kleinen Industri e gelände in der Vanhan Kuninkaalantie in Tikkurila, dort hatten früher mehrere Kasernen aus der Zeit der Zarenherrschaft gestanden. Zum Konzern gehörten insgesamt vier Hallen, die erste und kleinste war eine der alten Kasernen, sie war aus Ziegeln gebaut und stammte aus dem neunzehnten Jahrhundert. Hier hatte Rauno die Entwic k lungsabteilung, das Zeichenbüro, die Verwaltung und sein eigenes Arbeitszimmer sowie einen Beratungsraum untergebracht, zum Letzteren gehörten natürlich eine Sauna und ein Kaminzimmer Der Industrierat eilte, mit dem Taxifahrer auf den Fersen, zu den Büros, an der Tür des Gebäudes hing ein Messingschild mit der Inschrift:
Exercis-Compagnie
Distrikt Helsinki
1825-1884
Sorjonen kam nicht dazu, nach der Bedeutung des Schildes zu fragen, denn sein Kunde hatte es eilig. Rauno lief durch den Gang, an dem die Büros lagen, am hintersten Ende befand sich eine Tür mit seinem Namen. Er öffnete und stürmte hinein, darauf gefasst, seine Frau vorzufinden, aber der Raum war leer.
Rauno durchsuchte die ganze Verwaltung, um sich zu überzeugen, dass seine Frau wirklich nicht in die Firma gekommen war. Es dauerte eine Weile, ehe er diese Tatsache akzeptierte. Erneut rief er Annikki auf ihrem Handy an, aber noch immer kam keine Antwort. Erschöpft sank der Held in seinen ledernen Chefsessel. Und wenn Annikki nun, hol's der Teufel, ein heimliches Verhältnis mit einem anderen Mann hatte? Ja, natürlich! Rauno Rämekorpi kam sich wie ein Idiot vor, dass er nicht früher an diese Möglichkeit gedacht hatte. Annikki hatte zwar bisher keine Symptome von Untreue gezeigt, aber manchmal kriegte eine alternde Frau ja doch diesen Fimmel, sie sehnte sich auf einmal nach ihrer Jugend und fing an, fremde Männer zu verführen …, so etwas war heutzutage gang und gäbe.
Eine Welle der Eifersucht durchspülte das Gehirn des Mannes. Er gab sich einen Ruck und sandte seiner Frau eine knappe Nachricht:
Falls zwischen uns noch alles stimmt,
komme ich demnächst nach Hause.
Das waren deutliche Worte an die Adresse der betrügerischen Frau! Kühl bis ins Herz hinein bat Rauno Rämekorpi seinen Fahrer, den schönsten Blumenstrauß aus dem Taxi zu holen und ihn in die große Vase auf dem Konferenztisch zu stellen. Der Strauß stammte vom Generalstab der finnischen Armee, und die Glückwunschkarte
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