Zehn zärtliche Kratzbürsten
Jerusalem mitnahm. Falls sie keinen anderen Begleiter fände, sagte Rauno, dann könnte er mitkommen ins heilige Land, um nach Jesu Skelett zu suchen. Irja erwiderte, dass sie das Ganze nicht ernst genommen habe, das Skelett könne man sowieso nicht mehr finden, und überhaupt, was sollte man damit anfangen. Es müsse Schluss sein mit den Albernheiten, zumal jetzt vor Weihnachten, da bald die Geburt des Jesuskindes gefeiert werden sollte. Außerdem sei es im Nahen Osten weiterhin sehr unruhig, Reisende seien dort nicht sicher. Lieber würde sie nach Rom oder Venedig fahren. Beim genauen Hinsehen stellten Rauno und sie fest, dass sie mir dem Gutschein auch anderswohin reisen konnte, das Ziel war nicht festgelegt.
Als Seppo Sorjonen in bewährter Weise die Wohnung verlassen hatte und zu seinem Auto gegangen war, um die nächsten Delikate s sen vorzubereiten, holte Irja für Rauno die Potenzpillen aus dem Kühlschrank.
Irja: Wir können ja von vergangenen Zeiten plaudern, die eine Stunde ist schnell herum. Oder wir schippen draußen Schnee.
Rauno erklärte, dass auf dieser Tour seine Männlichkeit noch nicht sehr strapaziert worden sei, er könne auch ohne Pillen seine Pflicht erledigen.
Sie machten sich draußen an die Arbeit. Rauno schippte Pfade durch den Schnee, Irja fegte sie mit dem Besen sauber. Am Straße n rand stand Sorjonens Maxitaxi, dessen Passagierraum beleuchtet war. Dort bereitete der Wichtel seine Salate zu.
Als der Vorgarten geräumt war, formte Rauno Schneebälle, aus denen er eine Laterne baute. Diese Kunst aus Kindertagen beherrsc h te er auch mit sechzig Jahren noch gut. Irja holte von drinnen eine Kerze, und dann bewunderten sie gemeinsam das prächtige Werk. Sie waren sich einig, dass die Welt ein wunderbar schöner Ort sei, aber dennoch so furchtbar grausam. Irja erzählte, dass sie sich durch das Schwarzbuch des Kommunismus gefressen hatte, das von franz ö sischen Autoren verfasst und eine ganz schreckliche Lektüre gew e sen war. Die schöne Ideologie von der Gleichberechtigung war zur Kulisse für eine blutige Diktatur verkommen, in der hundert Milli o nen Menschen umgebracht wurden. Aus dem Blut dieser unschuld i gen Menschen wäre vermutlich ein regelrechter Strom entstanden!
Rauno Rämekorpi errechnete, dass dieser Strom sechshundert Millionen Liter Menschenblut enthielte. An seinem Ufer könnte man ein mittelgroßes Kraftwerk errichten. Wie viele Kilowatt würde es wohl produzieren …? Eine ganze Stadt könnte sich an der aus den Sünden der Menschheit produzierten Wärme laben.
Irja: Man stelle sich vor, dass auch ich in den Siebzigerjahren Kommunistin war, richtig ultra. Eine echte Stalinistin, wie du weißt.
Rauno: Du hast aber niemanden umgebracht.
Er betrachtete die Schneelaterne, der flackernde Kerzenschein malte allerlei lustige Figuren in die Umgebung. Es war bereits dämmerig, fast dunkel. Rauno ließ diesen Vorweihnachtstag, an dem er bereits fast zehn Frauen besucht hatte, an sich vorbeiziehen. Er bekannte der Psychologin, dass er befürchtete, irgendwie unnormal zu sein, da es ihn nicht mal Weihnachten zu Hause hielt. Auch nach Irjas Meinung war Rauno ein rechter Rasputin.
Darauf sagte er, dass er viel über das Schicksal dieses wüsten Kerls, der zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts am russischen Hof wirkte, nachgedacht habe. Rasputin war ursprünglich ein sibir i scher Muschik, ein Narr mit glühendem Blick gewesen, dem es eingefallen war, durchs weite Russland zu ziehen und dabei mit hoher Stimme und rollenden Augen seine Lehren zu verkünden. Frauen hatten sich ihm angeschlossen und am Ende war es dem verschlagenen Kerl gelungen, in den höchsten Kreisen des Reiches Fuß zu fassen, als Vertrauter der Zarin und sogar Ratgeber des Zaren selbst.
Rasputin war der Vorbeter und eine Art Leibarzt des an der Bl u terkrankheit leidenden Sohnes der Herrscherfamilie und deshalb ein geliebter und vergötterter Gast bei Hofe gewesen. Zum Schluss hatte er eine Position erreicht, in der es ihm möglich gewesen war, den Herrscher regelrecht zu lenken. Die Exzesse am Hofe in den Wirren des ersten Weltkriegs hatten der russischen Revolution Vorschub geleistet. Die ganze europäische Geschichte war dadurch beeinflusst worden.
Der Industrierat dachte an seine eigenen Ausflüge: Wenn alle D e tails herauskämen, würde es für ihn den Verlust seines Rufes und seiner Ehre bedeuten.
Irja versicherte ihm, dass er sich wegen seiner Frauengeschichten keine Sorgen zu machen brauche.
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