Zehntausend Augen
ruhig stolz auf sich sein.
Die beiden Handys ordnet Hajo so an, dass der Lautsprecher des einen am Mikrofon des anderen zu liegen kommt. Dazu packt er noch ein kleines Röhrchen mit einer starken Säure und verbindet alles miteinander. Dieses Mal hat er sich für Säure entschieden, weil ihm simple Wiederholungen zu öde sind. Außerdem würde Sprengstoff seine Spuren verderben. Die müssen unbedingt erhalten bleiben, damit sie gefunden werden können. Deshalb ist es auch nicht erforderlich, dass das Röhrchen mit der Säure wirklich beim Trennen der Handys kaputtgeht. Es soll nur so aussehen, als ob das beabsichtigt ist. Er rechnet mit extremer Vorsicht der KTU.
Hajo sieht auf die Uhr an der Wand. Er muss sich beeilen, wenn er rechtzeitig zurück sein will. Das luftdichte Verpacken des Handy-Säure-Pakets ist Routine und schnell erledigt. Die Fahrt hin zum neuen Tatort und zurück kostet ihn am meisten Zeit. Den Ort selbst hat er schon vor Tagen sorgfältig präpariert. Er hat sich sehr viel Mühe gegeben, genau so, wie er für besondere Orte in einem Computerspiel manchmal Wochen investiert. Wäre der neue Tatort ein Ort in einem Computerspiel, würde er ihn »Kammer des Schreckens« nennen. Hajo lächelt bei dem Gedanken. Kammer des Schreckens. Das gefällt ihm gut.
22
Die Zeiger der großen Wanduhr schienen mit jeder Stunde langsamer voranzugehen, je weiter der Nachmittag fortschritt. Ellen hatte sich mit Marina Wirtz wegen möglicher Reaktionen des Erpressers abgesprochen, und die neuesten Berichte der KTU hatte Ellen auch schon gelesen. Sie brachten keine weiteren Erkenntnisse. Der Haarprobenvergleich aus Hassans Wohnung mit dem vom Tatort ergab keine Übereinstimmung. Die SEK-Teams warteten an den vereinbarten Orten und standen sich dort die Beine in den Bauch. Stefan holte sich mindestens den zehnten Kaffee. Mit dem Becher in der Hand lief er unruhig hin und her, was nicht am Kaffee liegen konnte, denn der war im Präsidium erbärmlich schwach.
»Wann meldet der Kerl sich endlich?«, fragte er ungeduldig. Wohl auch schon zum zehnten Mal. Auch die Internetnutzer ließen in ihrem Interesse nach. Die Zahlen fielen kontinuierlich. Es geschah einfach nichts.
Trotz der fast schon penetranten Ruhe wollte sich bei Ellen keine Entspannung einstellen. Sie führte Telefonate und notierte ständig Gedanken auf ihren Block. Khalid überprüfte zum hundertsten Mal die Verbindungen, und Marina blätterte in einem Magazin herum, auch schon im zweiten Durchgang. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Und der Sturm würde kommen. Mit Sicherheit. Jede Sekunde konnte es losgehen – oder auch noch Stunden dauern. Ellen kritzelte nur noch Figuren auf die leeren Blätter.
»Ein Signal kommt rein«, unterbrach Khalid die angespannte Langeweile.
Ellen spannte unwillkürlich die Muskeln an. Sie hatte nur noch Augen für die Monitore.
HEUTE ABEND IST ES SPANNENDER
»Fuck! Was soll denn das?«, tobte Stefan los. »Will der Kerl uns verarschen?«
»Stefan!«, sagte Ellen. »Reiß dich zusammen.«
Doch Stefan wollte sich nicht beruhigen und ließ noch einen deftigen Fluch ab. Sein Gesicht begann rot anzulaufen.
»Stefan«, mahnte Ellen wieder. »Alle Leute können uns zusehen.«
»Ach, Scheiße!« Er warf einen wütenden Blick zu den Kameras und wandte sich dann abrupt ab.
Einen Atemzug später kam Brahe in die Zentrale. Er rieb seine Hände nervös ineinander. »Frau Faber, was halten Sie von der Nachricht?«
»Schwer zu sagen. Vielleicht ist es tatsächlich nur eine Terminverschiebung. Vielleicht will er uns aber auch einschläfern und dann überraschen.«
»Hm«, machte Brahe. »Unerquicklich, diese Ungewissheit. Sie zerrt an den Nerven unserer Leute. Daudert wirkte ziemlich explosiv, als er mir eben auf dem Gang begegnet ist.«
Ellen nickte. »Es ist nicht hilfreich, wenn wir vor laufenden Kameras ausrasten. Das gibt dem Erpresser unnötigen Auftrieb.«
»Wie machen wir jetzt weiter?«, fragte Brahe.
»Wir wissen, dass er zuschlagen wird, aber nicht, wann, also müssen wir auf unseren Posten bleiben, auch wenn es schwerfällt.«
»Ich kümmere mich darum«, bot Marina Wirtz an. »Es wird Stefan Daudert nicht gefallen, aber als Psychologischer Dienst kann ich in dieser Situation ein Gespräch verlangen.«
»Danke«, sagten Brahe und Ellen gleichzeitig.
Die Zeit tröpfelte dahin. Die Zeiger der Wanduhr schienen einzuschlafen. Ellen hatte das Gefühl, als seien ihre Nerven so straff gespannt wie die Saiten einer
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