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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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keine Zeit für lange Erklärungen. Hier spricht die Polizei. Räumen Sie die Oper!« Für einen Moment war sie still, aber ihr Gesicht wurde rot. »Lesen Sie keine Zeitung? Sehen Sie keine Nachrichten? Holen Sie mir Ihren Vorgesetzten an den Apparat. Sofort!«
    Wieder schwieg Marina Wirtz, dann verdrehte sie die Augen. Offenbar wollte man in der Deutschen Oper die Situation nicht ernst nehmen. Und Stefan meldete sich auch nicht. Ellen verfolgte mit geballten Fäusten die Zahlen, die langsam, aber unerbittlich auf die Fünfhundert zusteuerten.
    Da zeigte der Monitor, wie Bewegung in die Opernbesucher kam. Ein Mann sprang auf. Er hielt ein Handy in der Hand und sah sich hektisch um. Dann versuchte er so schnell wie möglich aus seiner Reihe herauszukommen.
    Vielleicht hatte er eine SMS bekommen, von einem Freund, der die Internetübertragung verfolgte. Die Wahrscheinlichkeit war hoch. Schließlich sahen Tausende Berliner die Übertragung aus dem LKA. Das Internet lief ja jetzt ungestört. Vielleicht konnte die Oper auf diese Weise doch noch rechtzeitig geräumt werden.
    Der Mann ging rücksichtslos vor. Er wollte um jeden Preis aus der Reihe. Andere in der Reihe reagierten empört über die Störung. Der Mann rief etwas, das über den stummen Monitor nicht zu hören war. Jetzt wurden weitere Zuschauer unruhig. Immer mehr sprangen auf. Plötzlich gab es kein Halten mehr. Alle schienen gleichzeitig wegzuwollen. Darauf war die Bauweise der Besucherreihen nicht eingestellt. Schließlich ging gar nichts mehr voran. Einige Männer versuchten, über die Sitze in Richtung Ausgang zu klettern. Einer eleganten Frau wurde ihr teures Kleid zerrissen. Sie schlug mit ihrer Handtasche nach dem Täter. Andere mischten sich ein. Jetzt prügelten sich mehrere. Als ob dadurch ein Damm gebrochen wäre, verwandelte sich die gesamte Operngesellschaft in ein unüberschaubares Chaos.
    Ellen konnte nur zusehen. Selbst wenn die Polizei rechtzeitig vor Ort erschien, selbst wenn Marina Wirtz noch jemanden in der Oper überzeugte, diesen Saal konnte niemand in den verbleibenden 440 Sekunden räumen. Musste sie wieder Zeit kaufen? Ellen fuhr mit einer Hand am Rand ihres BHs entlang.
    In diese Gedanken hinein platzte die weiche Stimme des Erpressers: »Oder spielen wir vielleicht hier?«
    Das Bild auf dem Monitor wechselte. Der Tumult in der Deutschen Oper verschwand. Man sah einen Kinosaal. Wieder viele Menschen. Wertvolle Zeit verstrich, bis Ellen ihre Stimme wiedergefunden hatte. »Was soll das?«
    »Was das soll?«, fragte der Erpresser. »Das ist doch ganz einfach. Ich frage, ob wir hier spielen sollen.«
    »Sie hatten uns die Oper gezeigt.«
    Wieder erscholl das Comedy-Lachen aus dem Telefonlautsprecher. »Da haben Sie recht. Und dabei habe ich gefragt, wie es wäre , hier zu spielen. Ich habe niemals gesagt, dass die Oper wirklich der Ort für die nächste Bombe ist. Sie sollten besser zuhören.«
    Ellen ballte ihre Fäuste, bis es schmerzte. Sie musste sich zwingen, nirgendwo draufzuhauen. Sie ging ein paar Schritte in der Zentrale hin und her, um wenigstens ein bisschen inneren Druck abzubauen. Brahe schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land. Marina Wirtz schüttelte den Kopf. Ellen ging wieder in die Nähe des Mikrofons.
    »Berlin hat unzählige Kinos. Was soll uns das nützen?«
    »Vielleicht hilft Ihnen der Titel des Films weiter. Es ist ein Remake von ›Spiel mir das Lied vom Tod‹. Ich fand ihn passend für unseren gemeinsamen Abend. Der Film soll ein echter Knaller sein.«
    Wieder kam dieses unpassende Gelächter.
    »Stellen Sie dieses Lachen ab!«
    »Sie haben aber gar keinen Humor. Aber wie Sie wollen. Ist das besser?« Aus den Lautsprechern drang verhaltenes Jammern. Dann schrie eine Stimme ängstlich auf.
    Cool bleiben, sagte Ellen sich. Er spielt mit dir. Sie würde sich nicht zu unbedachten Reaktionen hinreißen lassen.
    »›Spiel mir das Lied vom Tod‹ wird in über zehn Kinos gezeigt«, meldete Khalid.
    »Wie aufmerksam Ihr Mitarbeiter ist«, sagte die Stimme.
    Ellen drehte sich um. Sie sah weg vom Monitor, weg vom Countdown, einfach nur aus dem Fenster. Irgendetwas stimmte hier nicht.
    »Richtig, Sie brauchen nichts zu tun«, sagte die Stimme. »Das erledigen Ihre Zuschauer viel schneller. Ich bin sicher, dass die Kinobesucher schon Bescheid wissen. Die modernen Kommunikationsmittel … Sie wissen schon.«
    Es würde in den Kinos ähnlich laufen wie in der Oper: tumultartige Zustände in einem Dutzend Kinos der

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