Zehntausend Fallen (German Edition)
sie damals im Fernsehen gesehen.«
Danuta musterte Ellen ungläubig. Ellen konnte verstehen, wenn Danuta sie nicht wiedererkannte. Damals vor den Kameras war sie fast nackt gewesen, jetzt stand sie in etwas abgetragenen Sachen da, die alle ein paar Nummern zu groß waren, und ausweisen konnte Ellen sich auch nicht mehr. Aber Sina konnte es, wenn sie denn ihren Ausweis fand. Sina benötigte ihren Dienstausweis so gut wie nie, weil sie nur auf Anforderung von Kollegen an einen Tatort kam, der für gewöhnlich gesichert und abgesperrt war. Sina begann, ihre Tasche zu durchwühlen.
»Ich bin eine Kollegin von Ellen«, erklärte Sina zwischendurch. »Ich arbeite in der kriminaltechnischen Abteilung. Wir untersuchen die Spuren, um ein Verbrechen aufzuklären.«
Im Spurenfinden ist Sina wesentlich besser als im Finden von Ausweisen, dachte Ellen.
»Ach, hier ist er ja.«
Sina hielt Danuta ihren Dienstausweis, der leider schon den einen oder anderen Knick abbekommen hatte, vor die Nase. Danuta studierte das Teil, aber die Skepsis in ihrem Gesicht ließ kaum nach. Sie wusste anscheinend nicht, was sie von den beiden Frauen halten sollte.
»Du musst uns sagen, was hier los ist«, unterbrach Ellen das Schweigen. Danuta durfte auf keinen Fall zu viel nachdenken und womöglich die falschen Fragen stellen, etwa, warum sie nicht mit Rux zusammenarbeiteten, der in ihren Augen eindeutig Polizist war, schließlich trug er Uniform und fuhr mit einem Streifenwagen durch die Gegend.
Danuta sagte nichts. Sie sah nur zum Fenster hinaus.
»Danuta, dein Mann wäre fast gestorben, deine Kinder wären fast verbrannt. Das ist doch kein Zufall. Willst du, dass das wieder passiert? Ich werde nicht jedes Mal rechtzeitig da sein.«
Ellen spürte, wie es in Danuta arbeitete, deshalb setzte sie nach: »Wir wollen dir helfen. Aber damit wir das können, müssen wir wissen, was los ist. Warum wollte Andreas sich umbringen? Warum sind da Männer, die euch unter Druck setzen?«
»Wir haben Schulden«, begann Danuta zögernd. »Viele Schulden. Das Saatgut wird immer teurer. Dann die Pflanzenschutzmittel. Wir brauchen jedes Jahr mehr davon , und die Firma steigert dauernd den Preis. Wir können es uns nicht mehr leisten.«
Das konnte Ellen zwar nachvollziehen, aber zufrieden war sie mit dieser Erklärung nicht. Was Danuta beschrieb, war der Alltag jedes Bauern – und vieler anderer Geschäftsleute auch. Ein Grund für Selbstmord? In Einzelfällen vielleicht, aber nicht so gehäuft. Die Brandstiftung wurde dadurch auch nicht erklärt.
»Könnt ihr nicht bei einer anderen, günstigeren Firma kaufen?«
»Das geht nicht. Für jede Sorte, die wir säen, braucht man ein ganz bestimmtes Mittel. Sonst funktioniert es nicht.«
Ellen sagte das wenig, aber Sina kam eine Idee. Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Ausbildung ahnte sie erste Zusammenhänge.
»Ihr müsst die Pestizide von derselben Firma kaufen, die auch das Saatgut liefert?«
Danuta bejahte.
»Könntest du mich an deinen Gedanken teilhaben lassen?«, beschwerte sich Ellen bei Sina.
»Aber sicher. Saatogo ist Marktführer bei gentechnisch veränderten Pflanzen. Eine beliebte Methode ist, die eigenen Pflanzen auf ein ganz bestimmtes Pflanzenschutzmittel abzustimmen. Vorzugsweise gegen das aus der eigenen Produktion. Dieses System wird unter dem Deckmantel verkauft, dass dadurch die Menge der Pestizide reduziert wird, aber hauptsächlich dient es dazu, die Gewinne zu steigern.«
»Weil die Bauern genau dieses spezielle Mittel kaufen müssen«, spann Ellen den Gedanken weiter. »Selbst wenn es viel teurer ist als Mittel der Konkurrenz. Aber warum kaufen die Bauern ihr Saatgut nicht einfach von einer anderen Firma, wenn die erste sie so erpresst?«
»Das dürfen wir nicht«, wusste Danuta. »Es bleibt immer ein bisschen was auf den Feldern liegen bei der Ernte. Das geht nicht anders. Und dieses bisschen geht im nächsten Jahr mit der normalen Saat auf. Wenn man eine Analyse macht, ist also immer etwas von der vorigen Saat dabei. Deshalb kann uns die Firma wegen Patentverletzung verklagen, weil wir diese erste Saat nicht mehr verwenden durften.«
Die Denunziations-Hotline. Langsam rundete sich für Ellen das Bild ab. Die Ungerechtigkeit tat ihr fast körperlich weh. »Was habt ihr dann gemacht?«
»Wir haben Kredite aufgenommen. Nichts hier gehört uns mehr.« Danuta rannen Tränen über die Wangen. Sie zögerte weiterzureden, aber das Reden tat gut. Zu lange hatten sie alles in sich
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