Zehntausend Fallen (German Edition)
um sich. Der leichte Wind fachte das Feuer an, das in dem trockenen Holz der Scheune leichte Nahrung fand. Die Hitze am Tor war schon so groß, dass man an die Tür nicht mehr herankam.
Ellen rannte zur Tonne für das Regenwasser, schöpfte einen Eimer voll und goss den Inhalt über ihren Kopf. Dann holte sie tief Luft, nahm Anlauf und hielt auf die brennende Tür zu. Mit unverminderter Geschwindigkeit krachte ihre Schulter dagegen. Ellen brach tatsächlich durch. Drinnen rollte sie sich ab. Sie blieb einen Atemzug lang liegen, um die Lage zu sondieren. Die Kinder hatten sich in die gegenüberliegende Ecke zurückgezogen, wo die Flammen noch nicht hinkamen, aber der Dachstuhl fing bereits Feuer. Viel Zeit blieb nicht.
Ellen suchte die Fenster ab. Konnte man eins davon einschlagen?
Verdammt, warum haben die Glasbausteine genommen?
Das war unüblich für eine Holzscheune, aber nicht zu ändern. Da gab es kein Durchkommen. An der Rückwand lehnte eine Leiter, aber bis zu einem der beiden Dachfenster würde sie nicht reichen. Ellen lief hin, packte die Leiter an einem Ende, hielt sie so gut wie möglich waagerecht und rannte wieder zum Tor. Die Hitze war so groß, dass das Atmen wehtat, der Rauch biss in die Lungen. Ellen hustete bei jedem Atemzug. Zum Glück hatte das Feuer das Holz des Tors schon so weit geschwächt, dass Ellen eine ausreichend große Lücke hineinstoßen konnte.
Ellen lief zu den Kindern zurück und klemmte sich die beiden unter die Arme. Sie waren so verängstigt, dass sie sich nicht wehrten. Trotzdem schaffte Ellen die beiden kaum gleichzeitig zu tragen, aber einzeln ging auch nicht. Ellen wusste, dass sie es nicht ein zweites Mal in die Scheune schaffen würde. Es musste einfach gelingen.
Durch die Lücke im Tor erreichte Ellen den Hof. Sie ließ die Kinder einfach auf den Boden fallen und fiel selbst daneben. Sie konnte vor lauter Husten kaum mehr richtig atmen. Sina zog Ellen vom Tor weg, während Danuta sich um ihre Kinder kümmerte.
»Wie gut, dass du nicht so dick bist wie ich«, hörte Ellen Sina sagen. »Sonst müsste ich dich hier verschmoren lassen.« Sina hatte wirklich in jeder Situation einen blöden Spruch drauf.
Ellen antwortete nichts. Sie konnte nur husten. In der Ferne tönten die Martinshörner der Feuerwehr. Die Scheune brannte inzwischen lichterloh. Danuta, die Kinder und auch Sina und Ellen zogen sich bis zum Wohnhaus zurück.
Mit der Feuerwehr traf auch Rux ein. Sie entschieden, die Scheune kontrolliert abbrennen zu lassen und sich auf den Schutz der anderen Gebäude zu konzentrieren. Ellen ließ sich zwar vom Notarzt untersuchen, weigerte sich aber, ins nächste Krankenhaus eingewiesen zu werden. Die Hautabschürfungen betrachtete sie als unwesentlich, die Prellung an der Schulter sowieso. Die beiden kleinen Brandverletzungen würden schon wieder heilen , und das Atmen ging auch wieder einigermaßen. Ellen hasste Krankenhäuser.
»Ich würde mich gerne waschen.«
Danuta kam gerade von einem Gespräch mit Rux und führte Ellen ins Haus. Sina ging einfach mit. Hier draußen stand sie nur im Weg herum, und bei der Scheune war für sie nichts mehr zu holen. Falls Spuren darin gewesen sein sollten, waren sie jetzt verbrannt, zertrampelt oder vom Löschwasser weggeschwemmt.
Im Haus wirkte alles friedlich. Die Kinder hatten sich beruhigt und sahen durch ein Fenster den Feuerwehrleuten zu. Danuta kochte schweigend Tee. Von Zeit zu Zeit hörte Sina Danuta schluchzen.
Ellen kam aus der Dusche. Danuta hatte ihr Kleider geliehen, die aber allesamt deutlich zu groß waren. Die Hosenbeine hatte Ellen zweimal umgekrempelt, und das T-Shirt schlabberte bis über den Po, aber auf solche Äußerlichkeiten legte sie keinen Wert. Die nassen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, von dem noch das Wasser heruntertropfte. Im Gesicht und an den Armen wurde ansatzweise deutlich, wo Ellen blaue Flecken bekommen würde. Danuta sah sie besorgt an. Sie wollte etwas sagen, aber Sina kam ihr zuvor.
»Mach dir keine Sorgen, Danuta. Ellen liebt Kampfeinsätze. Ohne blaue Flecken fühlt sie sich nicht wohl. Nicht wahr, Ellen?«
Statt einer Antwort hielt ihr Ellen die geballte Faust hin. Danuta blickte die beiden verständnislos an.
»Ellen war jahrelang bei der Polizei in Berlin«, erklärte Sina. »Sie hat die Sondereinsatzkommandos geleitet und dafür gesorgt, dass die Bombendrohungen aufgehört haben, mit denen ein Erpresser ganz Berlin in Atem gehalten hat. Vielleicht hast du
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