Zehntausend Fallen (German Edition)
Pizzabäcker ließ sich Zeit, aber Ellen hatte es nicht eilig. Sie faltete das Blatt mit der Botschaft auseinander, strich es glatt und legte es vor sich auf den Tisch.
Was bezwecken die Männer? Rechnen sie ernsthaft damit, ich würde kommen? Allein?
Die Verwüstung der Wohnung war Warnung, Drohung, Einschüchterung. Ein Zeichen, wer hier der Stärkere war und dass man ihnen nichts anhaben konnte. Jeder normale Mensch hätte hier aufgegeben und wäre niemals zu dem Treffpunkt gekommen. Allein die Idee wäre töricht gewesen. Bestenfalls hätte man die Polizei eingeschaltet, aber das ging hier nicht. Das wussten die Männer genau, sonst hätten sie niemals einen Ort und eine Zeit angegeben.
Auf der anderen Seite wusste man über sie Bescheid. Die Männer waren nur die ausführenden Organe. Hinter ihnen stand jemand, der die Fäden zog, im Auftrag eines Konzerns, und deshalb vermutlich mit viel Geld und Einfluss ausgestattet. Solch ein Strippenzieher war intelligent und besaß normalerweise keinerlei Skrupel.
So viel konnte Ellen sich zusammenreimen. Mehr nicht, aber das reichte für die nächsten Schritte. Und die musste sie gehen, wenn sie nicht davonlaufen wollte.
Er weiß, dass ich eine ehemalige Polizistin bin. Er weiß, dass ich nicht aufgebe. Nur dann macht die Einladung zu dem Treffen Sinn.
Über Ellen konnte man eine Menge erfahren. Viel zu viel, wie sie selbst fand. Das war einer der Gründe, weshalb sie ihren Dienst quittiert hatte. Die Videos von ihren Auftritten vor der Kamera standen immer noch zum Download im Internet. Das Internet vergisst nie.
Dieser Wahrheit konnte man auch mit Polizeimitteln nicht beikommen. Schaffte man es, endlich, mit viel bürokratischem Aufwand, ein Video von einer Plattform zu löschen, tauchte es am nächsten Tag auf drei anderen Plattformen auf. Bilder von ihr waren auf Millionen von Rechnern gespeichert, schien es Ellen. Diese Informationen gaben dem Unbekannten eine Menge Einblick in ihre Persönlichkeit. Und wenn er dazu noch Kontakte zur Po lizei besaß, was durch Rux nahelag, kannte er möglicherweise sogar Interna.
Er weiß, dass mir keine andere Wahl bleibt, als zu kommen.
Ellen konnte sich ausrechnen, was der Unbekannte mit diesem Treffen bezweckte: Er wollte sie endgültig fertigmachen, sie ein für alle Mal demütigen.
Die Pizza Diavolo brannte in Elle ns Hals wie Feuer. Fast so heiß wie das Feuer der Wut auf diesen Unbekannten. Sie wollte wissen, wer er war. Um jeden Preis. Sie würde es herausfinden.
13
Nach der Pizza ging Ellen ins benachbarte Internetcafé. Mit Google Earth und Google Maps verschaffte sie sich einen Überblick über die Umgebung der alten Fabrik. Sie stand abseits auf einem eingezäunten Gelände. Vorne gab es eine große Zufahrt für Lastwagen und Kunden, hinten eine kleinere, die zu einem Mitarbeiterparkplatz führte. In der Nachbarschaft lagen zwei weitere Industriebrachen und einige kleinere Betriebe. Um die verabredete Zeit arbeitete dort niemand mehr, es würde sehr einsam sein, kein Ort, an dem man abends allein als Frau unterwegs sein sollte.
Ellen bestell te ein Taxi, das sie genau dorthin bringen würde.
Der Fahrer freute sich, als er Ellen sah. »Wollen Sie wieder Mercedes fahren?«
Es war kein Zufall, dass Ellen gerade ihn angerufen hatte. Für ihre Pläne brauchte sie jemanden, der nicht zu konventionell dachte.
»Dieses Mal dürfen Sie mich fahren. Zur alten Brotfabrik.«
Der Fahrer sah Ellen ungläubig an. »Zur alten Fabrik? Jetzt? Allein als Frau?«
»Genau so.«
»Aber ...«
»Ich habe keine Angst«, kürzte Ellen die Diskussion ab. »Sie etwa?«
Der Mann straffte sich. »Natürlich nicht.«
»Na also. Dann los! Ich habe einen Termin.«
Die Fahrt dauerte nicht lange. Auf die Frage, was sie dort wolle, antwortete Ellen kurz angebunden: »Was erledigen.« Daraufhin schwieg der Fahrer für den Rest der Fahrt.
»Fahren Sie bitte erst zur hinteren Einfahrt«, bat Ellen.
Zu sehen war dort nichts. Ellen inspizierte das Tor. Das Schloss war dick mit Rost überzogen, Gebrauchsspuren gab es keine. Vor und hinter dem Tor wuchsen Pflanzen. Hier war schon lange niemand mehr durchgegangen. Ellen hatte auch nicht damit gerechnet, aber sie wollte jegliche Überraschung ausschließen. Das Unternehmen war auch so gefährlich genug. Ellen ließ sich zum Vordereingang fahren. Hier stand das Tor offen.
»Sie wollen wirklich allein da reingehen?«, fragte der Fahrer ehrlich besorgt.
»Das werde ich. Bitte warten Sie
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