Zehntausend Fallen (German Edition)
sie überhaupt etwas mitgenommen?
Viel konnte es nicht sein. Schmuck besaß Ellen nicht, und Bargeld hatte sie kaum im Haus. Das allerdings fehlte, etwa hundert Euro. Ihren Laptop fand Ellen unter einem umgestürzten Regal, in dem einmal ihre ganzen Gläser gestanden hatten. Er lag unter einem Berg von Scherben, was ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Ein kurzer Test, er sah nicht mehr gut aus, war aber funktionstüchtig.
Eine einzige heil gebliebene Flasche Rotwein gab es auch noch. In ihren geliebten Korbsessel konnte Ellen sich nicht setzen. In dem Teil des Korbgeflechts, das noch an einem Stück war, steckte ihre Stehlampe, der Rest hing in Fetzen. So ließ sich Ellen in einen Stapel zerschnittener Polster fallen. Mangels Glas trank sie aus der Flasche.
Das werdet ihr mir büßen. So wahr ich Ellen Faber heiße.
Ellen hatte eine ziemlich sichere Vermutung über die Täter.
Auch wenn sie wenig Hoffnung auf Hilfe von dieser Seite hatte, rief sie die Polizei. Bis die kam, suchte sie weiter in ihren Sachen, ob etwas fehlte. Nichts, außer den Kopien, die sie von den Selbstmord-Artikeln gemacht hatte. Im Spülbecken im Bad fand sie schließlich ein din - a 4-Blatt. »20:00 Uhr in der alten Brotfabrik« stand in großen roten Buchstaben darauf. Ellen drehte das Blatt um. Es war eine der fehlenden Kopien. Das war eine deutliche Botschaft.
Ellen kannte die Fabrik. Eine verkommene Industrieruine am Ortsrand. Ellen faltete das Blatt zusammen und steckte es ein.
Die Polizei ließ auf sich warten, dabei war der Weg nicht weit. Ellen aß die Brötchen und trank den Wein dazu. Die Flasche war fast leer, als es klingelte. Zwei Beamte kamen herein – mit Rux im Gefolge.
Verdammt. Ist der denn immer dabei? Wahrscheinlich fängt er alles ab, was mit mir zu tun hat.
»Schon wieder Sie«, lautete Rux' Begrüßung.
Er sah sich kurz um.
»Sieht aber übel aus.«
Das war eher den beiden anderen Beamten geschuldet, die ihn begleiteten. So etwas sagte man, wenn man anständig sein wollte. Es gelang Rux nicht, es tatsächlich nach Mitgefühl klingen zu lassen.
Die Beamten machten einen kleinen Rundgang und sahen hierhin und dorthin.
»Fehlt etwas?«, fragte Rux.
»Nein«, sagte Ellen.
»Dann war es wohl kein Einbruchdiebstahl. Haben Ihre Nachbarn etwas gehört?«
»Es ist keiner im Haus. Die einen sind in Urlaub, der andere ist auf Montage in Hannover.«
»Sie sind sicher, dass es Einbrecher waren?«
»Glauben Sie etwa, dass ich meine Wohnung selbst so herrichte?«
»So was soll's geben. Was glauben Sie, was impulsive Leute manchmal machen, wenn sie wütend sind. Sie sind doch impulsiv, oder? Und wütend sind Sie sicher auch?«
Wenn Ellen noch nicht wütend gewesen wäre, wäre sie es mit Sicherheit geworden. Und impulsiv wäre sie jetzt auch gerne. Sie hatte Mühe sich zu beherrschen.
Rux fächelte Luft von ihrem Gesicht zu seinem.
»Sie haben getrunken«, stellte er fest.
»Nachher.«
»Wenn wir in dieser Angelegenheit etwas unternehmen sollen, dann sollten Sie einer Blutprobe zustimmen. Wir müssen in alle Richtungen ermitteln, das verstehen Sie doch sicher.«
Ellen wollte sich eine weitere Farce ersparen. »Ich verzichte auf eine Anzeige«, sagte Ellen, während sie Rux böse ansah.
»Wie Sie meinen.« Rux wandte sich zu den Beamten. »Die Dame verzichtet auf eine Anzeige.«
»Aber ...«
Der Mann, der gerade das Türschloss untersuchte, wollte einen Einwand bringen, aber Rux ließ ihn nicht ausreden.
»Wir sind fertig hier. Wir können gehen.«
Im Lauf des Nachmittags verschaffte Ellen sich einen Überblick über ihren Besitz. Die Männer hatten ganze Arbeit geleistet. Abgesehen von Kochtöpfen, Plastikschüsseln und Besteck war alles andere reif für die Tonne. Die verwendbare Kleidung passte in eine Reisetasche. Obendrauf packte Ellen den Laptop. Sie musste raus aus dieser Wohnung, fort von dem Trümmerhaufen. Hier konnte sie vor lauter Zorn keinen Gedanken mehr fassen, und einen klaren Kopf brauchte sie mehr als jemals zuvor.
In der Nachbarschaft gab es eine kleine Pizzeria, in der nie viel los war. Die Pizzeria lebte von den Leuten, die sich die Pizza nach Hause bringen ließen. Alle drei Tische waren frei. Genau das Richtige. Ellen hatte keine Lust auf laute Gespräche rechts und links, die leise Musik aus den Lautsprechern störte nicht.
Ellen bestellte Pizza Diavolo, extra scharf – und keinen Wein, sondern Cola. Für das, was ihr vorschwebte, musste sie voll da sein. Der
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