Zehntausend Fallen (German Edition)
hier. Wenn ich in einer halben Stunde nicht zurück sein sollte, können Sie die Polizei rufen, aber keine Minute früher.« Ellen dachte kurz nach. »Und Sie werden mir auch nicht folgen.«
»Versprochen. Aber – Sie sind wirklich seltsam.«
»Es können ja nicht alle normal sein.«
Damit stieg Ellen aus und ging langsam durch das Tor. An einigen Stellen, besonders an den Rändern, war der Asphalt aufgerissen, Gräser und Löwenzahn führten in den Spalten ein karges Leben. Rechts stand ein Schuppen mit eingeschlagenen Scheiben. Brombeerranken wuchsen bereits über das Dach. Dahinter parkte der dunkle Mercedes. Er war nicht versteckt, sondern stand einfach da. Ellen sah sich aufmerksam um. Sie fand keinen Hinweis auf weitere Autos, die beiden Männer waren allein. Wozu hätten sie auch Verstärkung gebraucht, zwei gegen eine? Wahrscheinlich beobachteten sie Ellen. Sie selbst entdeckte niemanden. Wäre sie mit Verstärkung gekommen oder bewaffnet, hätten die Männer sie sicher ins Leere laufen lassen.
Eine Tür stand auf.
Aha, meine Einladung.
Ellen steuerte darauf zu. Sie ging einen Schritt hinein und wartete, bis sich ihre Augen an das deutlich dunklere Licht gewöhnt hatten. Sie horchte und spähte mit allen Sinnen nach allen Seiten. Nichts.
Vor Ellen erstreckte sich ein vier Meter langer Gang mit jeweils einer Tür rechts und links. Der Gang mündete in eine Halle. Ellen kontrollierte die beiden Türen. Verschlossen. Sie ging weiter zur Halle. An der rechten Wand reichten Regale bis unter die Decke, davor war ein kleiner, freier Platz, auf dem diverses Gerümpel wahllos verstreut lag. Dann kamen Maschinen, deren Bedeutung Ellen nicht mehr erkennen konnte. Die Fenster zu beiden Seiten waren dick mit Spinnweben überzogen, ließen aber genug Licht durch, dass Ellen gut sehen konnte.
Ellen ging zwei Schritte in die Halle hinein – und spürte ein deutliches Vibrieren in ihrer linken Hosentasche. Der Lensfinder schlug an. Ellen beglückwünschte sich, dass sie ihn immer bei sich trug. So war er beim Anschlag auf ihre Wohnung nicht zerstört worden. Die Taschen ihrer Jeans platzten mit Lensfinder, Handy, Geldbörse und Schlüsselbund zwar fast aus den Nähten, aber hier ging es nicht um Bequemlichkeit. Sie wurde beobachtet. Irgendwo gab es Abhöreinrichtungen, versteckte Kameras konnte der Lensfinder aus der Hosentasche heraus nicht identifizieren. Ellen tat einen schnellen Schritt zur Seite in eine Nische und zog das Gerät aus der Tasche. So unauffällig wie möglich checkte sie die Umgebung. Da, in einem der Regale, etwas über Augenhöhe, markierte der Lensfinder eine Kamera, etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel. Ellen sah nicht direkt dorthin, sondern tat so, als sondierte sie ganz normal die Wand.
Hier soll also der Show-down stattfinden, und der Chef will wissen, was seine Leute machen.
Nachdem nichts weiter passierte, ging Ellen bis zur Mitte des freien Platzes. Da sie nicht wusste, was sie erwartete, hatte sie dort den größten Abstand zu allen Überraschungen. Sie ging nicht davon aus, dass man sie erschießen wollte, das hätten die Männer einfacher erledigen können. Man wollte die Einschüchterung auf die Spitze treiben.
»Was wollen Sie von mir?«, rief Ellen in den Raum hinein.
Eine Tür schlug zu, die, durch die Ellen hereingekommen war. Der Rückweg war versperrt. Auf der anderen Seite, zwischen den Maschinen, schepperte etwas. Sicher kein Zufall.
Man spielt mit mir. Sie wollen mich verunsichern.
Ellen spürte ihren Puls beschleunigen. Diese Situation war so anders als alles, was sie jemals erlebt oder trainiert hatte. Kein sek -Team wartete im Hintergrund, keine schusssichere Weste, keine Stiefel, kein Helm. Sie stand hier alleine, in Sweatshirt, Jeans und Turnschuhen – und wusste nicht, was auf sie zukommen würde.
»Was wollen Sie von mir?«, wiederholte Ellen ihre Fr age. »Warum haben Sie mich hierherbestellt?«
Aus dem Schatten einer Maschine schälte sich eine Gestalt. Sie war deutlich größer als Ellen und sehr breit. Hinter sich hörte Ellen scharrende Schritte näher kommen. Ellen drehte sich halb herum. Noch eine Gestalt. Nicht ganz so groß wie die erste aber genauso breit.
Sie wollen mich in die Zange nehmen.
Ellen stellte sich so, dass sie beide aus den Augenwinkeln sehen konnte. Nach dem nächsten Schritt der Männer erkannte Ellen ihre Gesichter. Der größere hatte eine Narbe über der rechten Braue und eine am Kinn. In seinem Blick lag etwas Gieriges,
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