Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
Vom Netzwerk:
, wusste niemand.
    Und wohin sollte Annika ziehen? Als arbeitslose, alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern war die Wahl nicht groß. In den sozialen Brennpunkten wohnte sich zu normalen Zeiten schon nicht gut, aber jetzt brannten dort allabendlich Autos, Geschäfte wurden geplündert, wenn es sie überhaupt noch gab, und nach Einbruch der Dunkelheit sollte man sich besser nicht mehr auf die Straße wagen. War das noch das Berlin, das Ellen kannte?
    Ellen nahm Annikas Hand. »Ich lasse euch nicht im Stich. Mir wird etwas einfallen für euch.«
    »Aber du hast genug eigene Probleme.«
    Das war wohl richtig, aber konnte sie deshalb die Augen vor dieser konkreten Not verschließen? Außerdem hing doch irgendwie alles zusammen. Die großen Zusammenhänge waren eben kein abstraktes Problem. Sie schlugen durch bis auf den Schulhof einer harmlosen Grundschule und bis zu tatsächlich unschuldigen Kindern.
    »Ich habe einen Plan. Mein Partner mag verrückt sein, aber genau deshalb glaube ich, dass wir es schaffen werden.« Für einen Bruchteil einer Sekunde stutzte Ellen. Sie hatte unbedingt vermeiden wollen, Hajos Namen zu nennen, und hatte »Partner« gesagt. Dieses Wort hörte sich seltsam an.
    Ellen nahm einen Zettel und schrieb eine Nummer darauf. »Die ist für Notfälle.« Sie gab Annika den Zettel. »Wähle sie nur, wenn es echt wichtig ist, und nur von einer Telefonzelle aus. Die Nummer geht nur für einen einzigen Anruf, danach werfe ich das Handy weg. Und keine Namen nennen. Merk dir das.«
    Annika blickte erst nachdenklich auf die Nummer und sah sich dann verstohlen im Lokal um. »Meinst du, ich werde auch verfolgt?«
    »Verfolgt nicht, aber bestimmt überwacht. Sie wissen, dass du die einzige Verwandte bist, die ich in Berlin habe, und werden damit rechnen, dass ich Kontakt zu dir aufnehme oder umgekehrt. Deshalb habe ich dich auch nicht angerufen. Ich bin dir lange gefolgt, bis ich dich angesprochen habe.«
    Ellen nahm ihre Geldbörse. Darin steckten siebenhundertvierzig Euro und ein paar Münzen. Ellen zog siebenhundert Euro heraus und drückte sie Annika in die Hand. »Du kannst es bestimmt gebrauchen, aber mehr habe ich im Moment nicht dabei.« Dass sie überhaupt nur noch die siebenhundertvierzig Euro besaß, musste Annika nicht wissen.
    »Ich will das nicht«, sagte Annika. »Du brauchst dein Geld selbst.«
    Ellen stand auf. »Darüber reden wir, wenn ich zurückkomme. Du kannst ja schon mal die Rechnung bezahlen.« Ellen griff ihre Tasche und ging zur Toilette.
     
    Die Punkerin, die einige Minuten später aus der Richtung der Toiletten kam und das Lokal verließ, beachtete Annika nicht. Sie wartete auf Ellen.

23
    Ellen sprang von einem tv -Programm zum nächsten. Auf allen Sendern, die Wert auf Informationen legten, bot sich das gleiche Bild. Es ging überall um die rasant steigenden Lebensmittelpreise. Talkshows und Expertenrunden wechselten sich mit Bildern von mehr oder weniger friedlichen Demonstrationen ab, wobei die weniger friedlichen überwogen. So ging es im ganzen Land und darüber hinaus.
    »Informationsbeschaffung? Das ist gut.«
    Ellen drehte sich überrascht um. Sie hatte Hajo gar nicht kommen hören. Wie schnell man sich an Sicherheitsvorrichtungen gewöhnen und die eigenen Instinkte vernachlässigen konnte.
    »Irgendwas muss ich ja tun, wenn du weg bist. Ich hasse es, untätig herumzusitzen, wenn um uns herum das Chaos regiert.«
    »Du sitzt nicht, du läufst in der Stadt herum. Das ist gegen unseren Plan.«
    Ellen stand auf, um Hajo besser in die Augen sehen zu können. »Hat dir das dein Geist in der Tür verraten?«
    »Hat er, und er weiß sogar, dass du fünf Stunden, dreiundzwanzig Minuten und vierzehn Sekunden unterwegs warst.«
    Ellens Augen verengten sich. »Ich habe keine Lust, von dir überwacht zu werden.«
    »Das System überwacht nicht dich, sondern die Wohnung.«
    »Was in diesem Fall das Gleiche ist.«
    »Falsch. Wenn ich dich überwachen würde, wüsste ich, wo du warst. – Wo warst du?«
    Ellen hätte mit Leichtigkeit eine Diskussion vom Zaun brechen können, dass er ihr ja auch nicht verriet, wo er sich herumtrieb, aber sie verzichtete darauf. Streit führte nicht weiter, es musste vorangehen, und zwar schnell. »Ich habe mich mit Annika getroffen.«
    »Du hast was ?«
    Ellen genoss den Moment des Erschreckens in Hajos Gesicht. Diese winzige Provokation konnte sie doch nicht lassen. »Annika, meine Schwester, die kennst du doch.«
    Natürlich wusste Hajo, wer Annika

Weitere Kostenlose Bücher