Zehntausend Fallen (German Edition)
nichts mit einer Flucht über die Dächer von Berlin.« Ellen zwinkerte Hajo zu, was der aber wohl kaum bemerkte, denn er stand ziemlich steif da. »Wir haben übrigens noch ein Ressourcenproblem, das nicht auf unserem Plan steht.«
Ellen ging zur Planungswand, das Glas Wein noch in der Hand. Hajo folgte ihr. Er wirkte sichtlich erleichtert darüber, Abstand von dem geöffneten Fenster zu gewinnen und sich auf vertrautes Terrain zu begeben.
»Was haben wir übersehen?«, wollte er wissen.
»Ich habe kein Geld mehr«, sagte Ellen.
Hajo sah sie kritisch an. »Wenn du nicht alles deiner Schwester gegeben hättest, hättest du noch Geld. Erwartest du, dass ich jetzt dafür einspringe?«
»So ähnlich hatte ich es mir gedacht.« Ellen erwiderte Hajos Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Wie soll das laufen? Als Kredit? Es wird lange dauern, bis du ihn mir zurückzahlen kannst.«
»Ich war eher davon ausgegangen, dass wir das Geld verrechnen. Wie viel ist dir eine Stunde Vergnügen wert? Fünfzig Euro? Bei den Bildern, die du dir ständig von mir ansiehst, ist schon eine hübsche Summe zusammengekommen.«
Jetzt grinste Hajo. »Ganz schön frech, meine Ellen. Das sollte ich nie vergessen.« Er drehte sich zu der Planungswand und schrieb auf den Zettel für die benötigten Ressourcen: Geld. »Weißt du, was Geld wirklich ist? Geld ist nichts anderes als eine Folge von Einsen und Nullen in einem Computer einer Bank. Mehr nicht.«
Hajo hatte das sehr betont gesagt und sah sie nun forschend an. Ahnte er, was in ihr vorging? Wahrscheinlich. Seine Erklärung war ein mehr als deutlicher Hinweis, wie er sich bei Bedarf Geld beschaffen würde. Er würde sich in irgendeinen Rechner hacken und die Einsen und Nullen zu seinen Gunsten manipulieren. Konnte sie das verantworten? Konnte sie zulassen, dass Hajo sie mit gestohlenem Geld aushielt? Andererseits – blieb ihr etwas anderes übrig? Sie konnte ihn schlecht zwingen, sein Geld ehrlich zu verdienen.
»Die Exp olizistin scheint noch sehr lebendig in dir zu sein«, sagte er mit einem frechen Lächeln. Oder war es spöttisch?
Er hob sei n Glas. »Stoßen wir auf die Expolizistin in dir an.«
Ellen war nicht ganz wohl, als sie anstieß. Hajo schien das Ganze als Spiel zu betrachten. Vielleicht war das auch gut so. Der Wein hatte plötzlich einen eigenartigen Geschmack.
War das nicht ein wunderbares Spiel? Hajo genoss aus vollen Zügen, zu beobachten, wie es in Ellen kämpfte. Sie war immer noch die aufrechte, geradlinige Polizistin, für die Recht und Gesetz entscheidende Größen waren. Sie wollte nichts Strafbares tun. Andererseits hatte sie ohne ihn keine Chance in diesem Kampf. Sie brauchte ihn, den meistgesuchten Verbrecher Berlins, für den geschriebene Gesetze bedeutungslos und Polizisten nur Spielfiguren waren. Ein köstlicher Widerspruch. Er würde es Ellen nicht leicht machen. Ihren inneren Kämpfen zuzusehen, war ein erhebendes Gefühl, viel besser, als alle anderen Spiele zuvor.
Aber er musste auch aufpassen. Ellen war klug. Sie hatte ihn mit seinen eigenen Argumenten geschlagen und war dabei, seine Schwächen herauszufinden. Ellen war die gefährlichste Person, die ihm jemals begegnet war.
Hajo hob erneut das Glas und trank einen Sc hluck. »Nachdem wir nun die Expolizistin in dir gebührend gewürdigt haben, können wir uns wieder der Aufgabe widmen, die die Expolizistin zu lösen gedenkt.« Ellens zwiespältige Reaktion auf das Wort »Expolizistin« war einfach zu gut, um es nicht mehrmals zu sagen.
Hajo wandte sich der Planungswand zu. »Der nächste Meilenstein heißt: Beweise aus den Instituten sind gesichert.«
Ellen war sichtlich erleichtert, sich dem Plan widmen zu können. »Erster Schritt, Computerrecherche«, las sie vor. »Das ist dein Part.«
»Der ist im Prinzip schon erled igt.« Hajo nahm einen kleineren grünen Punkt, der für abgeschlossene Zwischenschritte vorgesehen war, und klebte ihn an die entsprechende Stelle. »Die Bodenproben sind von drei Instituten untersucht worden, dem Adolf-Richter-Institut, dem Cortigen-Institut und bb -Biochex. bb -Biochex nennt sich »das führende Labor für bio- und gentechnologische Untersuchungen in Berlin-Brandenburg«. Es gehört zum Veritatis-Institut des gleichnamigen Professors Jannis Veritatis. bb -Biochex ist eindeutig das Bedeutendste von den Dreien und hat den größten öffentlichen Einfluss.«
»Dann sollten wir Biochex und diesen Professor mal genauer unter die Lupe nehmen«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher