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Zehnundeine Nacht

Zehnundeine Nacht

Titel: Zehnundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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Champagner.»
    «Vielleicht solltest du dir eine dritte besorgen. Du hörst ja doch nicht zu, wenn ich erzähle.»
    «Jedes Wort habe ich gehört», sagte der König. «Ein Mann, der zaubern kann. Guter Anfang. Obwohl das natürlich alles nur Tricks sind. Lauter Spiegel und solches Zeug.»
    «Bei ihm war das anders», sagte die Prinzessin. «Er konnte es wirklich. Hatte es schon immer gekonnt. Von Geburt an.»
    «Ein zauberndes Baby.» Der König fand die Vorstellung so komisch, dass er der Prinzessin auf den Schenkel klatschen musste. «Mit Strampelhöschen und Zylinder.»
    «So war das natürlich nicht», sagte sie. «Er lag nicht im Frack in der Wiege und führte dort Tricks vor. Aber wenn seine Klapperpuppe aus dem Bettchen fiel, dann sprang sie ganz von selber wieder in seine Hände zurück. Und seine Windeln waren immer trocken. Die Feuchtigkeit auf der Haut war ihm unangenehm, und darum änderte er das. Ohne irgendwelche Überlegungen. Zum Denken war er noch zu klein.»
    «Praktisch», sagte der König.
    «Unpraktisch», sagte die Prinzessin. «Weil die ständig trockenen Windeln seinen Eltern nämlich große Sorgen machten. Sie schleppten ihren Kleinen von einem Kinderarztzum andern. Das war nicht erfreulich für ihn, denn die Untersuchungen waren oft schmerzhaft. So machte er zum ersten Mal die Erfahrung, dass es besser war, seine Gabe zu verstecken.»
    «Wenn er zaubern konnte, warum hat er den Kinderarzt nicht einfach verschwinden lassen?»
    «Bei Menschen wirkte seine Fähigkeit nicht», sagte die Prinzessin. «Nur bei Sachen. Wenn er Hunger hatte, konnte er sich einen Apfel denken und den dann essen. Oder ihn jemandem schenken, in der Hoffnung, dass der andere ihn dafür gern haben würde. Aber das funktionierte nicht immer. Als im Sandkasten ein anderer kleiner Junge mit seiner Schaufel auf ihn einprügelte, konnte er ihn nicht davon abhalten. Er konnte nur die Schaufel weich werden lassen, damit es ihm nicht so weh tat.»
    «Meine Schaufel wird nie weich», sagte der König.
    «Ich weiß», sagte die Prinzessin.
    «Zwei Flaschen Champagner. Und ein Bier zum Runterspülen. Aber wenn ich wollte, könnte ich jetzt auf der Stelle.»
    «Willst du es mir gleich beweisen», sagte die Prinzessin, «oder soll ich weitererzählen?»
    «Erst erzählen. Die Nacht ist noch lang.»
    «Leider», sagte die Prinzessin. Aber sie sagte es nur in Gedanken.
    «Mach ruhig weiter mit deiner Geschichte. Ich will dir den Spaß nicht verderben.»
    «Vielen Dank», sagte die Prinzessin. «Als der Junge in die Schule kam, hatte er bereits zwei Dinge verstanden. Erstens, dass die andern Kinder nicht, wie er zuerst ganz selbstverständlichangenommen hatte, über dieselbe Fähigkeit verfügten wie er. Und zweitens, dass es sich empfahl, sein Talent nur ganz diskret und unauffällig anzuwenden. Er schloss also immer zuerst die Tür des Kinderzimmers und zauberte sich dann erst seine Hausaufgaben zurecht. Das dauerte zwar nur einen Augenblick, aber anschließend blieb er jedes Mal immer noch eine halbe Stunde oder eine ganze am Schreibtisch sitzen und tat so, als ob er eifrig und mühsam schriebe. Man hätte ihn sonst nur gefragt, weshalb er so schnell fertig sei. Wegen der sauber geführten Hefte hielten ihn die Lehrer für einen Musterschüler.»
    «Und seine Kameraden hielten ihn für ein Arschloch», sagte der König.
    «Genauso war es. Sie mochten ihn nicht. Eine Zeitlang versuchte er zwar, absichtlich ein schlechterer Schüler zu werden, aber das machte ihn auch nicht beliebter.»
    «Musterschüler kenne ich gut», sagte der König. «Ich war immer derjenige, der sie verprügelt hat.»
    «Er wurde oft verprügelt», sagte die Prinzessin. «Und ausgelacht. Vor allem, weil er im Turnen so schlecht war. Zwar hätte er sich den Bock, über den er die Grätsche nicht schaffte, niedriger zaubern können, aber irgendeinem wäre es bestimmt aufgefallen, und die Fragen, die man ihm dann gestellt hätte, wäre noch unangenehmer gewesen als das Gelächter.
    Er war ein schüchterner Mensch, und das konnte er auch mit seiner Fähigkeit nicht ändern. Dabei tat er alles, um anders zu wirken, als er war. Ein paar Tage lang versteckte er sich auf dem Weg in die Schule hinter einem Gebüsch und zauberte sich die angesagtesten Markenklamotten an denLeib. Aber das bewirkte nur, dass er jetzt nicht mehr nur einfach der Klassenschwächling war, sondern der verwöhnte Klassenschwächling, der Klassenschwächling mit zu viel Taschengeld, und die

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