Zeichen im Schnee
einen, den hält aber mein Onkel bei sich zu Hause.» Er sah wehmütig drein, als sehnte er sich nach einem anderen Leben. «Manchmal gehen wir mit ihm jagen.»
«Da bin ich wie Sie, ich gehöre zu einem Hundevolk», sagte sie. «Mein Mann macht gerade beim Iditarod-Rennen mit.» Der Polizist wirkte beeindruckt.
«Ist ’ne teure Angelegenheit. Deswegen müssen wir dieses gute Stück verkaufen. Um die Rechnungen zu bezahlen.» Sie sprach schnell, damit der Polizist gar nicht auf die Idee kam, sie nicht durchzulassen. «Hören Sie, ich möchte Ihre Zeit nicht weiter beanspruchen, Sie müssen Ihre Arbeit tun, darum schlage ich vor, ich fahre jetzt weiter, lade meine Lieferung ab und mache mich dann gleich auf den Rückweg.»
Der junge Mann überlegte kurz, blickte die Straße hinauf und hinunter, zögerte noch. «Reichen Ihnen zehn Minuten?»
«Fünfzehn, und wir sind uns einig.» Edie streckte ihren Arm aus dem Fenster und schüttelte dem Polizisten die Hand. Als sie in den Rückspiegel sah, stand er, wo sie ihn zurückgelassen hatte, offenbar verwundert über das, was gerade geschehen war.
***
Sie traf Anatol und Natalia auf den Treppenstufen vor ihrem Haus an, wo sie auf sie warteten. Der Mann, der das Tor bewachte, hatte vor fünf Minuten über Funk ihr Kommen angekündigt.
«Die Polizei hat Sie reingelassen? Die lassen niemanden rein. Unser Heim ist ein Gefängnis geworden.» Mit hilflos flatternden Händen unterstrich Anatol seinen Ärger über die Lage.
Natalia lächelte matt. Das Gesicht der jungen Frau war vom Weinen aufgequollen. «Ich habe mir schon gedacht, dass Sie wiederkommen», sagte sie. «Wir haben jemanden hier, den Sie sehen müssen.»
Sie baten Edie in die Küche, wo die Mutter bei einem hageren Mann mit windgegerbter Haut saß, der genauso gut fünfunddreißig wie sechzig hätte sein können, wahrscheinlich aber Ersteres war und wie Letzteres aussah. Anatol bot Edie einen Stuhl an und nahm selbst Platz. Natalia setzte sich ebenfalls. Edie blickte in die Runde. Die Gesichter waren allesamt gefurcht vor Sorgen. Die Mutter stand auf und machte Tee.
Anatol sprach ein paar Worte auf Russisch zu Natalia, die daraufhin aufstand, Edie kurz anlächelte und hinausging.
Er sagte: «Wir leben sehr zurückgezogen. Jahrhundertelang haben wir Welthaftigkeit und welthafte Menschen gemieden.» Er sah zur Tür, um sich zu vergewissern, dass seine Tochter außer Hörweite war, und fügte dann mit leiserer Stimme hinzu: «Mit dem, was derzeit geschieht, gibt Gott uns zu verstehen, dass wir keine welthafte Person bei uns hätten dulden dürfen.» Er blickte kurz nach oben, als schickte er einen Gedanken zum Himmel, und erklärte dann: «Aber wir sind eine sehr kleine Gemeinde, und es ist schwierig für uns, Ehefrauen und Ehemänner zu finden, die keine nahen Verwandten sind. Dieser Mann, den wir bei uns aufgenommen haben, Natalias Ehemann, er ist einer von der Außenwelt, eine welthafte Person, aber er ist ein guter Mensch.» Anatol hob die Schultern. «Vielleicht prüft Gott uns ja, damit wir das beweisen können.»
Die Mutter brachte den Tee in denselben fein bemalten Gläsern wie beim letzten Mal. Sie tranken alle einen Schluck, dann sprach Medwedew weiter. «Als der Wachmann mich angefunkt hat, dass Sie hier sind, habe ich Gregor Nickorow hergebeten.»
Der Mann nickte zum Gruß, sagte jedoch kein Wort.
«Er war neulich draußen, um nach den Hasen zu schauen, da sah er Sie von der Jagdhütte beim Hatcher Pass weglaufen. Er hatte Sie schon mal gesehen, er wusste, wer Sie sind. Zu uns kommen nicht viele Besucher.»
Nickorow nickte engagiert. Edie hatte den Eindruck, dass er eben erst begonnen hatte zu verfolgen, was gesprochen wurde.
«Einige von uns arbeiten außerhalb. Meistens auf dem Bau.»
Dass Altgläubige als Bauleute einen guten Ruf hatten – das kam ihr irgendwie bekannt vor. Sie versuchte sich zu besinnen, von wem sie es gehört hatte. Von dem Priester der Kirche in Eagle River vielleicht?
«Gregor hat mit drei anderen Männern zusammen die Jagdhütte gleich oben an der Straße umgebaut.»
Nickorow nickte. Darin war er sehr gut, fand Edie; es schien aber auch das Einzige zu sein, was er konnte. Vielleicht hatte er daher seinen Namen.
«Die mit dem hohen Drahtzaun drum rum?» Sie wollte unbedingt hören, was Gregor zu sagen hatte, musste aber zuerst dahinterkommen, was Anatol durch dieses Gespräch zu gewinnen hatte.
«Warum sollte mich das interessieren?», fragte sie.
Anatol
Weitere Kostenlose Bücher