Zeig mir, was Liebe ist
es an ihr Gesicht und atmete
den frischen Duft ein, der sie so an Ryan erinnerte. Als sie in das
Hemd schlüpfte, überlegte sie, dass sie wohl etwas mit
ihren Haaren machen sollte. Doch viel wichtiger war ihr, dass sie
Ryan erwischte, bevor er das Haus verließ. Sie musste ihn
sehen, musste in sein Gesicht und in seine Augen schauen, um zu
erfahren, ob sie darin die gleiche Liebe und das gleiche Verlangen
entdeckte, die sie für ihn empfand.
Als
sie dann in die Küche kam und ihn dastehen und den Sonnenaufgang
beobachten sah – seine breiten Schultern waren in ein dunkles
Flanellhemd gehüllt, die schmalen Hüften steckten in
ausgeblichenen Jeans –, machte ihr Herz diesen kleinen Sprung,
den es seit Jahren machte, wann immer sie ihn sah. Nur diesmal wusste
sie, warum es so hüpfte. Er war ihr Liebhaber. Und er hatte ihr
Empfindungen geschenkt, von denen sie sich nicht einmal hatte träumen
lassen, dass sie möglich wären.
Etwas
schien ihn auf sie aufmerksam gemacht zu haben. Seine Schultern
verspannten sich einen kurzem Moment lang, bevor er seinen
Kaffeebecher auf die Fensterbank stellte. Als er sich umdrehte,
lächelte sie … in einer Mischung aus prickelnder
Erwartung und typischer Unsicherheit des so genannten Morgens danach.
Eine Unsicherheit, die wuchs, als sie Ryans Gesicht sah, das einer
regungslosen Maske glich und in dem keinerlei Emotionen erkennbar
waren.
Carrie
strich sich durchs Haar und wurde auf einmal nervös, ohne zu
wissen, warum.
Bis
er sprach.
"Wir
müssen heiraten."
Sie
starrte auf den Mund, der in der Nacht so weich und sinnlich, so
begierig gewesen war. Heute Morgen bildete er eine harte, gerade
Linie – und doch wartete ein Teil ihres Verstandes noch immer
darauf, dass er sagte: Guten Morgen, meine Liebste. Die letzte
Nacht war fantastisch. Ich kann gar nicht genug von dir bekommen.
Lass uns noch einmal von vorn beginnen.
Aber
der Ausdruck, mit dem er sie jetzt ansah, war nicht der eines
Liebhabers. Aus dieser Miene sprach lediglich kalte Entschlossenheit
und nichts, weder in seinen Augen noch in seiner Haltung, verriet
etwas von Liebe.
"Wie
bitte?" fragte sie, sicher, dass sie etwas missverstanden,
seinen Gesichtsausdruck falsch interpretiert hatte. Sie war sicher,
dass ihre Ohren noch immer klingelten von dem unfassbaren Rausch
ihres letzten Höhepunktes, so dass ihr Verstand vernebelt und
ihr Gehör gestört war.
Ryan
schluckte und schaute auf einen Punkt hinter ihr an der Wand, der
seine ganze Aufmerksamkeit zu beanspruchen schien. "Wir müssen
heiraten", wiederholte er grimmig.
Sie
schüttelte verwirrt den Kopf. "Wovon redest du?"
Und
warum sagst du nicht etwas wie: Ich liebe dich. Ich möchte
dich heiraten. Ich war ein Dummkopf, dass ich meine Gefühle so
lange verleugnet habe.
Doch
nichts davon kam ihm über die Lippen. Im Augenblick sagte er
sogar gar nichts mehr. Und je länger er dastand, mit
versteinerter Miene und stoisch ins Leere blickend, desto
offensichtlicher wurde es, dass er an diese Worte auch nicht im
Entferntesten dachte.
Alles,
was sich in ihr bislang weich angefühlt hatte, verhärtete
sich. Alles, was sich überschäumend vor Liebe angefühlt
hatte, zerplatzte wie eine Seifenblase. Und die Optimistin in ihr,
die sich an die Vorstellungen von Romantik geklammert und auf ein
glückliches Happy End gehofft hatte, war besiegt.
"Müssen
heiraten? Müssen?" wiederholte sie fassungslos, als sie
endlich verstand, was hier vorging.
Sie
hatte gedacht, er hätte mit ihr geschlafen, weil er sie liebte.
Die traurige Wahrheit jedoch war, dass sie sich ihm praktisch
aufgedrängt hatte. Sie hatte sich bei ihm ausgeweint. Für
Ryan, der es nicht ertragen konnte, wenn irgendetwas oder
irgendjemand litt, war das eine offene Einladung gewesen.
Und
da er ein Mann war, hatte er das getan, was jeder Mann tun würde,
wenn eine Frau Trost bei ihm suchte. Er hatte dem körperlichen
Verlangen und seiner Hilflosigkeit angesichts ihrer Tränen
nachgegeben und versucht, alles wieder ins Reine zu bringen.
Mit
Sex.
Jetzt
bereute er es.
Jetzt
spielte er den Märtyrer.
Er
glaubte, sie müssten heiraten. Nicht weil er sie liebte, nein,
weil er meinte, sie ruiniert oder kompromittiert zu haben.
Du
lieber Himmel. Sie konnte es nicht fassen.
Sie
konnte nicht fassen, dass sie sich, was diesen Mann anging, immer
wieder zum Narren machte. Aber sie schwor sich, zumindest so viel
Würde zu bewahren, dass sie nicht wieder in Tränen
ausbrach. Sie hatte gestern Abend genug geheult.
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