Zeit deines Lebens
Ehrenwort.«
Gabe ließ eine Orange fallen, und Lou wäre vor Freude am liebsten an die Decke gesprungen. Mit spöttisch geschürzten Lippen fuhr er fort, Ruth Ausreden zu erzählen, wobei er es tunlichst vermied, sich zu entschuldigen – er konnte ja nichts dafür, dass die Dinge sich so entwickelt hatten! Schließlich legte er auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Was ist denn so lustig?«, fragte Gabe, wobei er die letzte Orange mit einer Hand hochwarf und wieder auffing. Die andere Hand hatte er in die Tasche gesteckt.
»Sie können nicht so besonders gut jonglieren, was?«, grinste Lou.
»Touché«, gab Gabe lächelnd zurück. »Sie sind ein guter Beobachter. Ich kann tatsächlich nicht besonders gut jonglieren, aber ich hatte ja auch von Anfang an vor, die beiden anderen Früchte fallen zu lassen und nur diese hier in der Hand zu behalten. Das zählt dann eigentlich nicht als Jonglieren, oder?«
Lou nahm die seltsame Antwort mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis, ordnete noch ein paar Dinge auf seinem Schreibtisch, zog dann seinen Mantel über und machte sich bereit zu gehen.
»Nein, Gabe, es ist im engeren Sinne kein Jonglieren, wenn man sich so was
vorher
vornimmt … « Abrupt hielt er inne, denn plötzlich wurde ihm klar, was er da sagte, und er hörte Ruths Stimme in seinem Kopf. Ruckartig blickte er auf, spürte wieder die seltsame Kälte um sein Herz, aber Gabe war nicht mehr da, und die Orange lag vor ihm auf dem Schreibtisch.
»Alison!«, rief er und marschierte, die Orange fest in der Hand, aus seinem Büro. »Ist Gabe grade hier rausgegangen?«
Alison hob den Finger, um ihm zu signalisieren, dass er sich einen Moment gedulden musste, während sie etwas auf einen Notizblock kritzelte und der Stimme am anderen Ende der Telefonleitung lauschte.
»Alison«, unterbrach er sie rücksichtslos, und sie wurde panisch, kritzelte schneller, nickte hektischer, hielt aber diesmal die ganze Hand in die Höhe.
»Alison«, fauchte Lou ein drittes Mal und legte einfach die Hand über den Hörer, um das Gespräch gewaltsam zu beenden. »Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.«
Mit offenem Mund starrte sie ihn an, während der Hörer schlapp von ihrer Hand baumelte. »Ich kann nicht glauben, dass Sie gerade … «
»Ja, ja, ich habe Ihr Gespräch unterbrochen, richtig, aber Sie werden es überleben. Ist Gabe grade hier vorbeigekommen?«, fragte er. Seine Stimme klang gehetzt, denn sie musste rennen, hüpfen, springen, um mit seinem Herzen Schritt zu halten.
»Äh … « Alison überlegte. »Er stand vor ungefähr zwanzig Minuten bei mir am Schreibtisch und … «
»Ja, ja, das weiß ich doch alles. Aber vor einer Sekunde war er in meinem Büro, und dann ist er plötzlich verschwunden. Also – haben Sie ihn gesehen?«
»Na ja, er muss ja hier gewesen sein, aber … «
»Haben Sie ihn gesehen?«
»Nein, ich war am Telefon und … «
»Menschenskind!« Lou schlug mit seiner bereits lädierten Faust auf den Tisch. »Ach Mist!«, schrie er mit schmerzverzerrtem Gesicht.
»Was ist denn los, Lou? Beruhigen Sie sich doch bitte.« Alison stand auf und streckte ihm die Hand hin.
Aber Lou wich zurück. »Ach, übrigens«, sagte er, senkte die Stimme und kam wieder näher. »Kriege ich eigentlich jemals Post unter einem anderen Namen?«
»Wie meinen Sie das?«, fragte sie stirnrunzelnd.
»Na, Sie wissen schon … « Er sah nach links und rechts und presste leise hervor: »Aloysius.«
»Aloysius?«, wiederholte Alison.
Er verdrehte die Augen. »Nicht so laut!«, flüsterte er.
»Nein«, antwortete sie gedämpft. »Den Namen Aloysius habe ich noch nie auf Ihrer Post gesehen.« Als erreichte ihre Stimme erst mit einer gewissen Zeitverzögerung ihr {141 } Ohr, lächelte sie dann plötzlich, schnaubte kurz und fing wieder an zu lachen. »Warum in aller Welt sollte ein Name wie Aloy– … « Als sie seinen Blick sah, erstarben die Worte auf ihren Lippen, und ihr Lächeln verschwand. »Oh. Oje. Das ist ein … « – ganz unvermittelt wurde ihre Stimme eine Oktave höher – » … ein wunderschöner Name.«
Lou überquerte die Seán O'Casey Bridge, eine neue Fußgängerbrücke, die die beiden neuangelegten Kais im Norden und im Süden – den North Wall Quay und den Sir John Rogerson’s Quay – miteinander verband. Noch hundert Meter, und er war am Ziel: The Ferryman, der einzige authentische Pub, den es in diesem Bereich der Kais noch gab. Der Ferryman war kein Lokal für Cappuccino und Ciabatta,
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